Es klingelt. Primarschüler Philipp sitzt wieder im Klassenzimmer. Er hat von seinen Eltern zum Schulanfang eine Smartwatch bekommen, die er stolz seinen Mitschülerinnen und -schülern zeigt. Er kann damit telefonieren, auch per Video, Textnachrichten schreiben und seine Eltern können mittels GPS in der Uhr jederzeit seinen Standort ausfindig machen.
Nach der Schule, zu Hause angekommen, wird Philipp zu seinem Vater gerufen: «Wie erklärt denn dein Lehrer euch die Multiplikationsrechnung? Das ist ja furchtbar! Das kann ja sogar ich besser.» Philipp staunt. Woher weiss sein Vater so gut Bescheid über den vermittelten Unterrichtsstoff?
Das verlängerte Ohr am Arm des Kindes
Ein solches Szenario ist theoretisch möglich. Das Konsumentenmagazin «K-Tipp» hat Smartwatches für Kinder in puncto Sicherheit untersuchen lassen. Die Analyse einer Sicherheitsfirma ergab dabei: Sechs von elf Uhren können heimlich die Umgebung belauschen.
Eltern könnten also zum Beispiel mittels App auf ihrem Handy, das mit der Smartwatch des Kindes verbunden ist, den Schulunterricht mithören, ohne dass das Kind etwas mitbekommt – wie beim fiktiven Philipp. Bei einer Uhr waren sogar heimliche Videoaufnahmen möglich.
Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, erwähnt von sich aus keine solch drastischen Vorfälle an Schulen. Doch es käme immer wieder vor, dass Smartwatches auf dem Schulhof oder während des Unterrichts missbräuchlich eingesetzt würden. Schulkinder hätten beispielsweise Gespräche ohne Erlaubnis aufgenommen.
Die allermeisten Schulen würden aber mittlerweile solche Uhren wie Smartphones behandeln und das Tragen oder Mitbringen verbieten, sagt Dagmar Rösler. Schülerinnen und Schüler müssten die Geräte in der Garderobe lassen oder nähmen sie gar nicht erst mit. «Das trägt zur Beruhigung während des Unterrichts bei.»
Das sei nicht zuletzt deshalb wichtig, weil immer mehr Kinder mit Smartwatches zur Schule kämen. Manche Kantone haben im Zusammenhang mit einem eingeführten Handyverbot an Schulen auch Smartwatches miteinbezogen.
Für den eidgenössischen Datenschutzbeauftragten Adrian Lobsiger ist klar: Das Abhören von nicht öffentlichen Gesprächen, ohne dass vorher Beteiligte einwilligen, verstosse gegen Datenschutzrichtlinien – und ist auch strafbar.
Christopher Geth, Strafrechtsprofessor an der Universität Basel, präzisiert: Der entscheidende Punkt sei das Abhören eines nicht öffentlichen Gesprächs ohne Einwilligung. Da der Unterricht im Schulzimmer in einem geschlossenen Personenkreis in einem nicht öffentlich zugänglichen Raum stattfinde, gehe er davon aus, dass dort das heimliche Abhören via Smartwatch strafbar sei, sagt der Strafrechtsprofessor.
Kritisierte Kinderuhren vom Onlineshop genommen
SRF hat von grossen Detailhändlern in der Schweiz im Elektronikbereich wissen wollen, ob und wie viel der gerügten Smartwatches sie verkaufen. Digitec Galaxus schreibt, vier der sechs genannten Uhren verkauft zu haben. Insgesamt sei eine «zweistellige Anzahl» über die Ladentheke gegangen, die angesprochenen Produkte seien nach der Recherche von «K-Tipp» aber aus dem Sortiment genommen worden.
Interdiscount und Mediamarkt teilen mit, man habe jene Kinder-Smartwatches nicht im Angebot. Gegenüber dem Konsumentenmagazin schrieb Amazon, man leite eine Überprüfung ein, verkaufe die Uhren aber weiterhin.