Die Tür der kleinen Blockwohnung öffnet sich, eine junge Frau begrüsst auf Englisch: Sofiia, 21, Schauspielstudentin aus der Ukraine. Hinter ihr erscheint die Besitzerin der Einzimmerwohnung: Christine Schraner Burgener, Staatssekretärin für Migration.
Sie hatte die Wohnung gleich neben der eigenen als späteren Alterssitz für ihre Mutter gekauft. «Die Wohnung wurde zufällig frei, und ich hätte es seltsam gefunden, sie zu vermieten, wenn gleichzeitig so viele Menschen etwas suchen.» Mehr als 50'000 Ukrainerinnen und Ukrainer sind bereits in die Schweiz geflüchtet, bis im Herbst, so schätzt der Bund, könnten es mehr als 100'000 sein.
«Als ich dich zum ersten Mal sah, war ich sehr überrascht, weil du so warmherzig bist», sagt Sofiia mit Blick auf die Staatssekretärin und lacht. «Ich hatte etwas Offizielleres erwartet. Als ich dich googelte, dachte ich zuerst, ich hätte die falsche Person gefunden: Diese berufliche Position – einen solchen Zufall gibt es doch nicht!»
Doch Christine Schraner Burgener hat im Privatleben noch nie wirklich Distanz gesucht zu dem, was sie beruflich beschäftigte. Und das waren häufig Krisen. «Ich scheine Krisen anzuziehen», sagt Schraner. Zum Beispiel auf dem Botschafterposten in Thailand, den sie sich mit ihrem Mann teilte, damit sich beide um die zwei Kinder kümmern konnten. Sie erlebten gewaltsame Volksproteste und einen Staatsstreich. Schraner leistete im Hintergrund Vermittlungsarbeit.
Am meisten hilft mir, dass ich gewohnt bin, Ruhe zu bewahren.
Herausforderungen in Thailand und Myanmar
Nach ein paar Jahren als Botschafterin in Berlin folgte ihre schwierigste Aufgabe: Die UNO ernannte die Schweizerin zur Sonderbotschafterin für Myanmar. Sie vermittelte anfänglich mit Erfolg zwischen der Regierung und der Rohinga-Minderheit. Doch dann putschte das Militär. Als einzige Botschafterin weltweit hielt Schraner Kontakt zu beiden Seiten. Doch ohne Erfolg. Sie ging in Ehren – aber zermürbt. «Es zieht einen natürlich auch herunter», sagte sie damals. «Dreieinhalb Jahre fast ohne Pause und Ferien, dauernd Leid vor Augen – es ist vielleicht Zeit für eine Pause, bevor es zu spät ist.»
Tempo bei Einführung des Schutzstatus S
Anfang 2022 wurde sie Staatssekretärin für Migration – und mit dem Ukraine-Krieg schon bald wieder Krisenmanagerin. So leitet sie auch den Sonderstab Asyl, muss Kantone, Gemeinden und Bundesstellen auf eine Linie bringen. Von ihrer Krisenerfahrung profitiert sie. «Am meisten hilft mir, dass ich gewohnt bin, Ruhe zu bewahren. Das ist wichtig, wenn man ein Team leitet.»
Sie kann aber auch Druck ausüben. Das gewohnte Verwaltungstempo akzeptiert sie dann nicht. Drei Wochen, um Unterlagen für den Bundesrat zusammenzustellen, damit dieser erstmals den Schutzstatus S einführen konnte, um die Geflüchteten unkompliziert aufzunehmen? Sie entschied: Das muss bis am nächsten Abend möglich sein.
Die Staatssekretärin hat keine Berührungsängste. Die Zusammenarbeit ist sehr gut.
Chefin zu sein, bedeutet für die Staatssekretärin aber auch: vor Ort gehen, selbst Hand anlegen. Als die Menschen vor den Bundesasylzentren Schlange standen, setzte sie sich ans Registrierungspult. «Sie sagte, diese Schlange sei ihr zu lang, sie wolle eine Voranmeldung – möglichst elektronisch», erinnert sich Mirjam Behrens, Direktorin der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, die dabei war.
Wenig später gab es eine Online-Voranmeldung und eine App. «Diese hemdsärmelige Art finde ich super», sagt Behrens – sonst gegenüber dem Bund oft kritisch. «Die Staatssekretärin hat keine Berührungsängste. Die Zusammenarbeit ist sehr gut.»
Am Feierabend sitzt Christine Schraner Burgener ab und zu mit Sofiia zusammen und spricht ihr Mut zu. Doch beide Frauen ahnen, dass der Krieg nicht so bald enden wird. Auch die Staatssekretärin bleibt gefordert.