Wer nichts sieht oder nur wenig – hört dafür besser hin. So sagt man. Ein Musikfestival ist somit eigentlich perfekt geeignet für blinde Menschen oder solche mit einer Sehschwäche.
Doch auch wenn Musik vor allem über das Hören vermittelt wird, spielen bei Konzerten auch visuelle Aspekte eine Rolle. Ist es im Saal dunkel oder hell, wann erscheint die Sängerin auf der Bühne, wie gross ist die Band im Hintergrund?
Bereicherndes Konzerterlebnis
Solche Informationen erhält zum Beispiel Agnes Seiler. Sie ist fast ganz blind und trägt, während dem Konzert der portugiesischen Sängerin Susana Baca an den Stanser Musiktagen, Kopfhörer.
Ich habe mitbekommen, wie sich die Sängerin bewegt hat und welche Instrumente gespielt wurden.
Seiler fand die zusätzlichen Beschreibungen eine Bereicherung, sagt sie nach dem Konzert: «Bisher habe ich an einem Konzert einfach Musik gehört und fertig. Jetzt habe ich mitbekommen, wie sich die Sängerin bewegt hat und welche Instrumente gespielt wurden.»
Dass Agnes Seiler mitten im Konzert zusätzliche Informationen aufs Ohr geflüstert bekam, störte sie nicht. Im Gegenteil: «Das Ganze war irgendwie persönlicher. Ich hatte ein gutes Gefühl.»
Das Ganze war irgendwie persönlicher.
Die Stanser Musiktage legen dieses Jahr einen besonderen Fokus auf die Inklusion von Menschen mit Sehbehinderungen.
Mit der Audiodeskription des Konzerts den Sehbehinderten das Musikprogramm zugänglich machen, ist eines der Projekte des Festivals. Ein anderes ist der extra kreierte Audio-Rundgang durch den Nidwaldner Hauptort: ein sogenannter «Hörgang» für Blinde. Einer, der den Sehenden die Augen öffnen soll.
Ein Erlebnis für Blinde und Sehende
Christian Graf hat diesen Audio-Rundgang konzipiert. Mit Kopfhörern ausstaffiert wird man akustisch an Orte in Stans gelotst. Zum Beispiel zur Brunnenskulptur «Der Tod und das Mädchen» beim Dorfplatz.
Auf dem Audio sind Christian Graf und Janka Reimmann, die eine starke Sehbeeinträchtigung hat, auf Erkundungstour zu hören. Sie stehen offenbar ebenfalls vor der Brunnenskulptur.
Janka Reimmann stellt Fragen wie: «Kann ich die Figur abtasten? Ist sie zu weit oben dafür?»
Christian Graf antwortet: «Du kannst zum Brunnensockel und wenn du den ertastest, hast du ...»
«Die Füsse!», unterbricht ihn Janka Reimmann begeistert.
«Genau! Die des Knochenmannes und der schönen Frau», ergänzt er.
Nicht immer mit den Augen schauen, sondern mit den Händen – das ist für die Sehenden ein besonderes Erlebnis. Wer will, kann für die Führung neben Kopfhörern auch noch eine spezielle Brille anziehen, welche die Sicht beeinträchtigt.
Ich wollte plötzlich auch diese Füsse abtasten beim Brunnen.
Diego Balli hat dies bei der Vernissage der «Hörgangs» getan und war erstaunt: «Ich wollte plötzlich auch diese Füsse abtasten beim Brunnen. Ich meine, ich wohne hier und bin schon hundert Mal an dieser Skulptur vorbeigelaufen und wollte noch nie die Füsse anfassen.»
Dass sich Menschen in die Rolle einer blinden Person versetzen, ist ein Ziel dieses Rundganges. Diese spezielle Führung ist zwar für die Stanser Musiktage gestaltet worden, sie endet aber nicht mit dem Festival. Auch danach ist es möglich, den «Hörgang» zu machen.
Nachhaltigkeit, Inklusion und Diversität ist den Stanser Musiktagen wichtig. Es gäbe noch viel zu tun, sagt Co-Leiterin Laeticia Blättler: «Wir stecken noch in den Kinderschuhen. Was ist zum Beispiel mit Menschen, die nichts hören? Es gibt tolle Angebote, mit Gebärdendolmetschern an Konzerten. Ich habe viele Ideen, was man an den Stanser Musiktagen noch alles machen könnte.»