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Steigende Covid-Zahlen Wer momentan kränkelt, hat wohl Corona – stimmt das?

Wer im Moment Zug fährt, weiss: An laufenden Nasen und Huster ist kein Vorbeikommen. Doch wie viele Huster sind Covid-Huster? Für den Mikrobiologen Ulrich Elling ist klar: einige. Er warnt auf X: «Wir steuern auf eine der höchsten Covid-Wellen jemals zu.» SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel mit den wichtigsten Antworten zur neusten Covid-Welle.

Katrin Zöfel

Wissenschaftsjournalistin

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Katrin Zöfel ist Wissenschaftsredaktorin bei SRF. Sie ist Biologin und versucht zu verstehen, wie die Wissenschaft helfen kann, Antworten auf gesellschaftlich wichtige Fragen zu finden.

Stimmt die These «Wer momentan kränkelt, hat wohl Corona»?

Das ist schon arg zugespitzt. Aber ja, derzeit hat es wieder deutlich mehr Corona-Infektionen – nicht nur in der Schweiz. Interessant ist, dass es nicht mehr schnell aufeinanderfolgenden Wellen sind, wie noch 2022. Stattdessen gibt es jetzt eine grössere Welle und das nach einer längeren Pause. Mögliche Gründe liefert eine Studie aus Deutschland. Demnach haben lange vor allem neue Varianten bestimmt, wann eine Welle kommt, das ist nun anders. Jetzt kommt eine neue Welle dann, wenn die Immunität genug nachgelassen hat und deshalb wieder viele Menschen gleichzeitig empfänglich sind für eine neue Infektion.

Die Aussage basiert vor allem auf Werten der Abwassermessung. Wie zuverlässig sind diese?

Im Abwasser kann man sehr gut ablesen, ob die Zahl an Infektionen steigt oder fällt, auch wie schnell das jeweils geht. Die Dynamik einer Welle kann man im Abwasser also gut sehen. Was aber nach Angaben der beteiligten Forscher nicht so gut funktioniert: aus der Menge an Coronavirus im Abwasser auf die Zahl an Corona-Infizierten zu schliessen. Warum, wann ein einzelner Mensch wie viel Coronavirus ausscheidet, hat man noch nicht gut genug verstanden.

Im Januar 2022 waren zum Beispiel deutlich mehr Menschen tatsächlich mit Corona infiziert als man aus den Abwasserdaten geschlossen hätte. In der Schweiz sind die Sentinella-Daten eine weitere wichtige Infoquelle. Sentinella ist ein Netzwerk, in dem etwas mehr als 160 Schweizer Hausärzte und Hausärztinnen Abstriche von Patienten mit Atemwegsinfekten einschicken, die dann auf RSV, Grippe, Corona und andere Viren getestet werden. Dort macht in der ersten Novemberwoche Corona etwa ein Drittel der viralen Atemwegsinfektionen aus.

Zürich macht wieder gratis Coronatests: Wie sinnvoll wäre die Einführung in der ganzen Schweiz?

Um besser abzuschätzen, wie die Infektionszahlen gerade sind und wie sie sich entwickeln, bräuchte sich nicht wieder die ganze Schweiz zu testen. Es würde reichen, in einer sogenannten Panelstudie eine Gruppe Menschen regelmässig zu testen. So etwas macht zum Beispiel die Universität Mainz in Deutschland. In der Schweiz gibt es das nicht. Hier verlässt man sich auf die Sentinella-Daten plus die Informationen aus dem Abwasser, die zusammen genommen ein grobes Bild ergeben. Das Testen hat aber ja noch einen anderen Zweck: den für jeden Einzelnen und seine Umgebung. Jeder, der von seiner Infektion weiss, kann bewusst damit umgehen.

Immunität

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Die Immunität gegen Atemwegskrankheiten wie Grippe oder Corona ist nicht so unkompliziert wie die gegen Masern, wo man sich einmal infiziert oder impft und dann ein Leben lang immun ist. Wie gut bei Corona der Immunschutz gegen Ansteckung, schweren Verlauf und Long Covid wirkt, hat sich zudem im Verlauf der Pandemie laufend geändert, und: Der Wissensstand wurde mit der Zeit immer besser . Das heisst auch: manche Hypothesen stellen sich mit der Zeit als falsch heraus.

Der Schutz gegen Ansteckung ist auch direkt nach einer Immunisierung nie hundertprozentig, sondern nur «leaky», wie Forscher das nennen. Das heisst, dass die Frage, ob man sich ansteckt oder nicht, stark davon abhängt, wie viel oder wenig Virus man abbekommt. Passiert es zum Beispiel draussen und man bekommt wenig Virus ab, dann hält der Schutz oft. Ist man drinnen, mit schlechter Lüftung, bekommt man viel Virus ab und wird trotz Immunschutz angesteckt ( Studie in Connecticut ) . Dieser Schutz lässt mit der Zeit nach, und: Er kann von neuen Varianten mit sogenannten «Immune escapes» geschwächt werden. «Immune escape» (auf Deutsch etwa Immunflucht) bedeutet, dass sich das Virus so verändert, dass neue Varianten den Immunschutz, der durch Impfung gegen ältere Varianten oder eine Infektion mit älteren Varianten erworben wurde, ganz oder teilweise umgehen können.  

Dann gibt es eine zweite «Schicht» Immunität, die gegen schwere Verläufe. Dabei spielt die zelluläre Immunantwort die Hauptrolle. Diese Immunität hat eine Art eingebaute Vielfalt. Wenn die hier zuständigen Immunzellen zum ersten Mal einer Virusvariante begegnen, bilden sie Immunität gegen diese Variante aus, aber auch schon ein bisschen gegen Varianten, die ihr nur ähneln. Bei einer zweiten Immunisierung nimmt diese Vielfalt noch zu, nach einer dritten Immunisierung ist die Vielfalt recht gross und die Immunität gegen schwere Verläufe ist deshalb sehr robust. Sie hält bis zu einem gewissen Grad auch dann noch, wenn neue Varianten mit «immune escape» auftauchen. Diese zweite «Schicht» Immunität scheint auch mit der Zeit weniger stark nachzulassen, wie der Schutz gegen Ansteckung.

Wo sind wir bei den Varianten? Nimmt Gefährlichkeit ab – beziehungsweise Gewöhnung zu?

Eine Variante wie Delta im Sommer/Herbst 2021, die mehr schwere Fälle auslöst und dabei die Immunität gut umgehen kann, ist bisher nicht wieder aufgetreten. Stattdessen bestimmen seit Omikron (seit Anfang 2022 in der Schweiz) die Omikron-Verwandten das Geschehen. Diese Varianten hatten vor allem zu Beginn alle jeweils etwas immune escape (Box), aber nicht die Fähigkeit, schwerer krankzumachen.

Zuletzt haben zwei Varianten zu reden gegeben in den Medien und unter Experten: die mit den Spitznamen Eris (EG.5) und Pirola (BA.2.86). Eris schien sich relativ stark durchsetzen zu können, und Pirola fiel auf, weil es genetisch relativ weit von vorherigen Varianten weg war. Aber keine von beiden hatte bisher die Fähigkeit, für sich genommen eine grössere Welle auszulösen. Es bleibt für den Moment bei dem Schwarm aus Varianten, aus der keine besonders heraussticht.

Wie gefährlich ist Corona überhaupt noch?

Das individuelle Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, ist so niedrig wie noch nie. Das liegt vor allem daran, dass die allermeisten durch Impfungen und Infektionen eine robuste Immunität haben plus dass es gerade keine neuen, gefährlicheren Varianten gibt. Etwas schwerer abzuschätzen ist, wie hoch oder wie niedrig das Risiko noch ist, nach einer Infektion an Long Covid zu erkranken. Die Datenlage hat da grosse Lücken.

Es ist aber klar, dass das Risiko verglichen mit dem im Frühjahr 2020 deutlich gesunken ist. Hier ist der aktuelle Wissensstand für Grossbritannien gut zusammengefasst, demnach ist dort das Risiko, Long Covid zu bekommen, von etwa zehn auf ein Prozent gefallen. Auch andere Studien deuten in die gleiche Richtung. Das Long-Covid-Risiko ist also nicht null, aber viel kleiner geworden.

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Regionaljournal Zürich, 22.11.2023, 08:31 Uhr ; 

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