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Der Umgang der Gesellschaft mit dem Corona-Tod
Aus Echo der Zeit vom 24.11.2020. Bild: imago
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Sterben in Corona-Zeiten Theologin: «Corona hat das Gefühl der Hilflosigkeit verstärkt»

Als Anfang März der erste Todesfall nach einer Covid-Erkrankung gemeldet wurde, war das Medienecho gross. Heute scheint es, als würden wir die Zahlen einfach so zur Kenntnis nehmen. Von Abgestumpftheit will die Theologin Isabelle Noth aber nicht sprechen.

Isabelle Noth

Isabelle Noth

Evangelische Theologin

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Noth ist Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der Universität Bern.

SRF News: Sind wir abgestumpft?

Isabelle Noth: Das glaube ich keinesfalls. Denn hinter jeder Zahl, und das wissen die Menschen, stecken Einzelschicksale, und damit ist sehr viel Leid verbunden. Aber es ist auch verständlich, dass wir nicht bei allen Zahlen gleich heftig reagieren können – weil wir das psychisch nicht bewältigen könnten.

Berührt uns ein Flugzeugabsturz mehr?

Wir wissen, dass diejenigen Tode, die vom Menschen verschuldet sind, also ein Mord oder Krieg, am schwersten zu verarbeiten sind und schwere Traumata hinterlassen. Natürlich ist auch bei Unfällen und technischem Versagen Leid damit verbunden. Aber es ist gemäss verschiedener Studien einfacher, damit umzugehen.

Und eine Pandemie liegt irgendwo dazwischen?

Es kommt darauf an, wie die Person gestorben ist und in welchen Kontexten sie eingebunden war. Wir können nicht ein Urteil über den Tod fällen unabhängig vom Gesamtumfeld. Die Pandemie ist neu, es waren keine Erfahrungen da. Dass man das Gefühl hat, man sei dem Virus ausgeliefert, hat das Grundbedürfnis nach Kontrolle arg strapaziert. Es ist ein schwieriges Sterben.

Hand eines Patienten im Spital
Legende: Das Bundesamt für Statistik hat seit der Corona-Pandemie eine signifikante Übersterblichkeit bei älteren Menschen festgestellt. Keystone

Viele sagen in der Pandemie auch: «Alte Menschen sterben halt». Haben die späten Jahre einer Biografie weniger wert?

Nein, das wäre verheerend, es so zu sehen. Wir wissen aus der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne, dass auch die letzten Jahre sehr entscheidend sind. Entwicklung geht bis zum Ende des Lebens. Im Übrigen ist unsere Hochaltrigkeit eine zivilisatorische Errungenschaft.

Heisst das, Sie empfinden den Umgang mit dem Sterben während der Pandemie als normal?

Ich denke, es gibt Entwicklungsschritte. Als im Frühling alles geschlossen wurde, Altersinstitutionen keine Gäste mehr hereinliessen, ging es darum, die körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung rundum zu gewährleisten. Mit der Zeit hat man gemerkt, dass das so nicht geht.

Die Lebensqualität einer Person ist mindestens so wichtig wie die Lebensdauer.

Wir leben ja nicht vom Brot allein, wir haben noch andere menschliche Bedürfnisse: das Grundbedürfnis nach Bindung, nach Berührung. Menschen können auch an Einsamkeit sterben. Das hat dazu geführt, dass man gesagt hat, so können wir das nicht mehr machen, sonst haben wir quasi lebende Tote um uns herum.

Und dafür nehmen wir den Tod in Kauf?

Es ist ein Abwägen. Zugleich: Was heisst, wir nehmen den Tod in Kauf? Der Tod gehört zu uns, wir können ihm nicht entkommen. Es ist die Frage nach dem Früher oder Später und unter welchen Umständen. Aber die Lebensqualität einer Person ist mindestens so wichtig wie die Lebensdauer.

Ist es für die kranken Menschen ein anderes Sterben in der Pandemie?

Natürlich ist jedes Sterben sehr individuell und es ist schwierig, allgemeine Aussagen zu machen. Aber es ist im Moment schon so, dass an einem bisher unbekannten Virus zu sterben oder zu erkranken, das Gefühl der Hilflosigkeit und Angst verstärkt hat. Das Sterben in Zeiten von Corona hat Eigenheiten, und zugleich gehört Sterben einfach zu unserem Leben.

Wie gehen die Seelsorger mit diesen Eigenheiten um?

Als Verwandte ihre Angehörigen nicht besuchen durften, als Menschen allein gestorben sind, war es die Hauptaufgabe, ein Verständnis für diese besondere Situation zu wecken und insbesondere den Menschen Schuldgefühle zu nehmen – klar zu stellen, dass das kein persönliches Versagen ist.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit vom 24.11.2020, 18 Uhr;

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28 Kommentare

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  • Kommentar von Rolf Künzi  (Unbestimmt)
    Mein Coronaplan ist ganz simpel. Gib es der Natur in die Hände, laufen lassen, laufen lassen, laufen lassen. Wenn jeder Tag ein Infizierter einen weiteren ansteckt, das ist doch nicht so unmöglich, dann sind wir nach der normalen Exponetialität in 24 Tagen bei 8 Milliarden, also durch und Immun. Mit Abstand die klügste und auch humanste Lösung. Aber manche mögen es kompliziert. Das geht aber nur, wenn man Vertrauen in die Selbstheilungskräfte - oder Gottes Kraft - hat.
  • Kommentar von Manu Meier  (Manuel Meier)
    Mein Grossvater ist bei der ersten Welle gestorben, meine Grossmutter in der zweiten. Beide sind nicht an Corona gestorben, sie waren sehr alt und irgendwann ist es halt so weit. Aber mir scheint, wären sie an Corona gestorben, dann müsste das eine Tragödie sein. Da es nicht Corona war, ist es normal. Also wieso sollte ich mich ob mit oder ohne unterschiedlich fühlen?
    (das ist ein Beispiel und stimmt nur zur Hälfte)
  • Kommentar von Marc Schlatter  (Marc Rafael)
    Ich kann diese Fixierung auf Übersterblichkeit nicht verstehen. Irgendwie geht es SRF darum, zu zeigen, wie verhältnismässig alles sei. Gleichzeitig geht es aber ja um Einzelschicksale, wo man bei anderen Krankheiten allermeistens weder nach Verboten noch Verordnungen ruft und sich auch kaum derart betroffen zeigt. Dieser andauernde, absolute Sonderstatus, die Schreckberichterstattung und die Vorstellung, nicht richtig Abschied nehmen zu dürfen, ängstigen doch die Betroffenen noch viel mehr!
    1. Antwort von Marc Schlatter  (Marc Rafael)
      Wobei ich absolut für einen Sonderstatus wäre , im Sinne eines Zustands positiver sozialer Energie und einer wohlüberlegten Wachsamkeit. Alle Energien wären daraufhin zu bündeln, gefährdete Menschen in unserem Umfeld zu schützen. Der Bund hätte schon lange Schutzkonzepte ausarbeiten sollen, die auf Gemeindeebene sowohl informativ als auch infrastrukturell umgesetzt werden könnten. Es bräuchte unkonventionelle, kreative Lösungen, weg von der grossen Kelle hin zur individuellen Situation!