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Stimmrechtsalter 16 «Je älter jemand ist, desto stärker beteiligt sich diese Person»

Der Nationalrat diskutiert, ob in der Schweiz jungen Menschen ab 16 Jahren stimm- und wahlberechtigt sein sollen. Im Kanton Glarus sind Jugendliche ab 16 schon seit 2007 stimmberechtigt. Experte Daniel Kübler spricht über die Erfahrungen, die damit gemacht wurden.

Daniel Kübler

Politologe

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Daniel Kübler ist seit April 2009 Professor für Demokratieforschung und Public Governance an der Universität Zürich sowie Leiter der Abteilung für Allgemeine Demokratieforschung am Zentrum für Demokratie Aarau.

SRF News: Warum sind 16- und 17-Jährige politisch nicht so aktiv, wie sie sein könnten?

Daniel Kübler: Jugendliche und junge Erwachsene nehmen generell weniger politisch teil als die älteren Semester. Politische Beteiligung ist an einen klaren Alterseffekt gebunden. In diesem Sinne ist generell festzustellen: Je jünger jemand ist, desto weniger beteiligt er sich. Je älter jemand ist, desto stärker beteiligt sich diese Person.

Stimmrechtsalter 16: Vorreiter Glarus, Zürich und Bern stimmen ab

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Derzeit laufen in diversen Kantonen Bestrebungen, das Stimmrechtsalter zu senken. Vorreiter ist der Kanton Glarus : Er führte 2007 das aktive Stimm- und Wahlrecht für 16- und 17-Jährige auf Kantons- und Gemeindeebene ein. Um selber gewählt zu werden, muss man aber weiterhin 18 sein.

Im Kanton Uri sagte die Stimmbevölkerung im vergangenen Jahr mit wuchtigen 68.4 Prozent Nein zu einer entsprechenden Verfassungsänderung – bereits zum zweiten Mal. Auch im Kanton Bern wird die Bevölkerung bald zum zweiten Mal über das Stimmrechtsalter 16 abstimmen, nachdem sich das Kantonsparlament im November dafür ausgesprochen hatte.

In Zürich steht am 15. Mai ein entsprechender Urnengang an. Auch in Graubünden , Appenzell Ausserrhoden und im Wallis gibt es Bestrebungen, das Stimmrechtsalter zu senken. In Luzern, Jura und der Waadt votierte in den vergangenen zwei Jahren eine Mehrheit in den kantonalen Parlamenten dagegen. Im Kanton Neuenburg stellte sich die Stimmbevölkerung 2020 gegen das Vorhaben.

Warum ist politische Partizipation an das Alter geknüpft?

Der erste Faktor ist das politische Interesse. Je stärker man sich politisch interessiert, desto stärker beteiligt man sich. Der zweite Faktor ist die wahrgenommene Kompetenz: Ob man sich zutraut, über Politik zu sprechen, ob man das Gefühl hat, man komme draus. In diesem Sinne haben wir festgestellt, dass sich im Kanton Glarus die 16- bis 18-Jährigen tatsächlich weniger für Politik interessieren und sich auch weniger kompetent fühlen, als das ihre älteren Kolleginnen und Kollegen tun.

Je früher und je intensiver die Jugendlichen mit Politik in Kontakt kommen, desto stärker wird ihr Interesse geweckt

Wo hapert es?

Es ist nicht so, dass man mit 18 sich plötzlich viel mehr für Politik interessiert oder sich kompetenter fühlt, als man das mit 17 getan hat. Je früher und je intensiver die Jugendlichen mit Politik in Kontakt kommen – in der Schule, an Veranstaltungen, wo über Politik diskutiert wird – desto stärker wird ihr Interesse geweckt und desto stärker wird die Kompetenz erarbeitet. In diesem Sinne kann man sagen: Wenn man eine verstärkte Beteiligung von Jugendlichen an Politik möchte, dann sollte man stärker in die politische Bildung investieren.

Stimmrechtsalter im internationalen Vergleich

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In Europa kennen nur Österreich und Malta das Stimmrechtsalter 16 auf nationaler Ebene. In anderen Ländern können 16-Jährige begrenzt mitbestimmen, beispielsweise in einigen Bundesländern Deutschlands auf Länder- und kommunaler Ebene oder in Schottland und Wales für die Parlamentswahlen. Im internationalen Vergleich sticht Südamerika hervor. In Argentinien, Brasilien, Ecuador, Nicaragua und Kuba gilt Stimmrechtsalter 16. Höhere Alterszulassungen gibt es auch. In Kamerun liegt die Grenze bei 20 Jahren, in Singapur oder Oman gar bei 21.

Warum wäre es wichtig, dass 16 und 17 Jahre alte Jugendliche am politischen Leben teilhaben?

Die Frage des Stimmrechtsalters ist eine Frage der Definition der politischen Gemeinschaft. Wenn man jemandem sagt, «du hast das Stimmrecht», bedeutet das symbolisch auch «du gehörst dazu». Gemeint ist: Diese Person gehört zur politischen Gemeinschaft. Sie darf mitbestimmen, mitregieren.

Das Gespräch führte Adam Fehr.

SRF 4 News, 16.03.2022, 06:10 Uhr ; 

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