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Strom ohne Atom Drei Optionen gegen Strommangel in 20 Jahren

Bestehende AKW länger laufen lassen, neue Werke forcieren, mehr Stromimporte: Das schlagen Politik und Strombranche vor.

In rund 20 Jahren wird es kritisch, wenn die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen. Für die Zukunftstechnologie Wasserstoff aber ist es dann noch zu früh. Die Schweiz wird daher – so zeigt es die Studie der Strombranche – für eine Übergangszeit ein Vielfaches der heutigen Strommenge importieren müssen.

Das werde möglich sein, sagt Energieforscher Matthias Sulzer, Mitautor der Studie. «Wenn man das clever macht, kann man auch dieses kurzfristige Ansteigen der Stromimporte gut umschiffen.»

AKW der nächsten Generation?

Allerdings sind Verhandlungen über ein Stromabkommen mit der EU seit Jahren blockiert – noch mehr Strom importieren ist ein Risiko. Eine Alternative könnten neue, kleinere «AKW der nächsten Generation» sein.

Nur gebe es da ein Problem, sagt Niklaus Zepf, Leiter des Begleitgremiums zur Stromstudie: «Sie werden erst ab 2045 wirklich verfügbar sein.»

Das Atomkraftwerk Gösgen im Kanton Solothurn.
Legende: Wenn die letzten Kernkraftwerke in rund 20 Jahren vom Netz gehen, wird es kritisch. Eines der vier Kernkraftwerke in der Schweiz ist das Atomkraftwerk Gösgen im Kanton Solothurn. KEYSTONE/Gaetan Bally

Pilotanlagen gebe es zwar schon, sagt Zepf, auch leitender Mitarbeiter beim Stromkonzern Axpo. Bis zum vollen Einsatz von AKW der sogenannten vierten Generation dauere es aber zu lange.

Selbst wenn man heute beginnen würde, darüber nachzudenken, könnte man ab 2030 Grundsatzentscheide fällen, weil dann die Technologie verfügbar ist. «Dann braucht man 15 Jahre bis 2045 und nicht 2040, wo wir im Übergang die kritische Phase sehen.» Das sei zu spät, heisst es in der Energiebranche.

Kritik aus rechts-bürgerlichem Lager

Energiepolitiker aus dem rechts-bürgerlichen Lager bezweifeln das jedoch. «Offenbar ist der Verband Schweizerische Elektrizitätswerke nicht gut informiert. Es gibt Anlagen, die in Betrieb sind», sagt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Es gebe sogar Investoren, die namentlich auch in Firmen in der Schweiz investieren.

Gleich tönt es bei der SVP, die mit Albert Rösti den nächsten Energieminister stellt. Nationalrat Christian Imark sagt, es werde kaum ohne die Option Atom gehen: «Es kann sein, dass die Herausforderungen plötzlich gemeistert sind. Wir wissen schlicht und einfach nicht, was 2040 ist.»

Wenn ein Kernkraftwerk länger laufen kann, dann hilft das uns, über die kritischen Jahre hinwegzukommen.
Autor: Niklaus Zepf Leitender Mitarbeiter beim Stromkonzern Axpo

Etwas zurückhaltender ist FDP-Präsident Thierry Burkart. Er denkt weniger an neue Kernkraftwerke als an die bestehenden. Sein Vorschlag: Diese könnten länger laufen als die heute erwarteten 60 Jahre. «Wenn man 70 Jahre einen sicheren Betrieb gewährleisten kann, ist das selbstverständlich in Ordnung.»

Die Sicherheit sei massgebend, nichts anderes. «Da würde noch einiges drin liegen – zumindest ist das die Aussage von Expertinnen und Experten, wenn man in die Sicherheit investieren kann.»

Verlängerung der Laufzeit: ein politisches Tabu

70 statt 60 Jahre Laufzeit – damit bricht der FDP-Chef ein politisches Tabu. Die Strombranche rechnet in ihrer Studie nicht mit solchen Laufzeiten. Studien-Koordinator Niklaus Zepf sagt aber: «Wenn ein Kernkraftwerk noch länger laufen kann, dann hilft das uns, über die kritischen Jahre hinwegzukommen.»

Das heisse aber nicht, dass man die Anstrengungen bei den erneuerbaren Energien zurückfahren könne. «Wir umschiffen einfach ein Problem um die 40er-Jahre.»

FDP-Präsident schliesst Subventionen nicht aus

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Gösgen oder Leibstadt länger laufen lassen: Das würde enorme Investitionen in die Sicherheit benötigen. FDP-Präsident Burkart möchte deshalb die AKW-Betreiber entlasten bei bestehenden Abgaben – damit Geld bleibt für diese Investitionen. Denkbar ist für ihn aber auch Staatshilfe: «Es werden zurzeit so viele Technologien subventioniert. In diesem Sinne würde ich auch hier eine Subvention nicht ausschliessen», sagt er.

Bestehende Werke länger laufen lassen oder neue AKW forcieren – das sind zwei Wege. Die Strombranche verfolgt einen dritten Weg: vorübergehend deutlich mehr Stromimporte. Alle drei Optionen bergen Risiken. Und so richtig attraktiv scheint keine von ihnen.

Echo der Zeit, 13.12.2022, 18:00 Uhr

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