Zum Inhalt springen

Stromnetzsicherheit Strom: EU-Gericht entscheidet gegen die Schweiz

Swissgrid zieht einen Entscheid des EU-Gerichts zur Frage von Stromplattformen an die nächste Instanz weiter.

Zwischen der Schweiz und der EU gibt es seit Jahren Spannungen: Brüssel will die Beziehungen neu regeln, der erste Anlauf für ein Rahmenabkommen ist gescheitert. Die Spannungen wirken sich aufs Schweizer Hochspannungsnetz aus. Die EU-Kommission will die Schweiz aus wichtigen europäischen Gremien, die sich um die Netzsicherheit kümmern, ausschliessen. Swissgrid ist deshalb vor Gericht gezogen – und abgeblitzt.

Das Gericht der Europäischen Union gibt der EU-Kommission auf der ganzen Linie recht: Brüssel darf den Rauswurf der Schweiz aus der sogenannten Terre-Plattform verlangen. Terre ist ein rein technisches Gremium. Dort vereinbaren europäische Netzbetreiber kurzfristig Stromlieferungen, um die Netze stabil zu halten.

Eine Hochspannungsleitung von unten
Legende: Die EU-Kommission darf den Rauswurf der Schweiz aus der Terre-Plattform verlangen, so entschied das EU-Gericht. Keystone/Gaetan Bally

Das Urteil für Brüssel und gegen Swissgrid fiel bereits Ende Dezember. Öffentlich wurde es bislang nicht beachtet, doch seine Bedeutung sei gross und negativ, sagt Jörg Spicker. Er ist strategischer Berater bei Swissgrid. «Damit wird der Kommission letztlich die Möglichkeit gegeben, mit völliger Willkür gegenüber Swissgrid zu verfahren, und das können wir nicht akzeptieren.»

Freipass für die EU-Kommission

Tatsächlich geben die EU-Richterinnen und Richter der Kommission einen Freipass: Sie könne entscheiden, ob sie die Schweiz bei Terre und ähnlichen Stromgremien mitmachen lasse, heisst es im Urteil.

Stand des Verfahrens vor dem EU-Gericht:

Swissgrid legt das EU-Recht anders aus und sieht sich berechtigt, mitzumachen. Zudem wollten auch sämtliche europäischen Netzbetreiber die Schweiz dabei haben, sagt Spicker.

Die Schweizer Netzbetreiberin hat das Urteil an die letzte Instanz, den Europäischen Gerichtshof EUGH, weitergezogen. Dort ist der Fall seit Frühling hängig. «Wir haben eine ausführliche Gegenschrift eingereicht und wir hoffen, dass die entsprechend gewürdigt wird», so Spicker.

Schweiz brauche es nicht 

Die EU-Kommission äussert sich auf Anfrage nicht zum Rechtsstreit. Aus den Gerichtsunterlagen aber geht hervor: Die Kommission sieht keinen Anspruch der Schweiz als Nicht-EU-Mitglied und ohne ein Stromabkommen mit der EU. Und sie hält eine Teilnahme von Swissgrid nicht für nötig für ein stabiles europäisches Stromnetz.

Das sei unhaltbar, findet Jörg Spicker von Swissgrid, gerade die Nachbarstaaten würden stark profitieren: «Das gilt insbesondere für Süddeutschland. Und ein grosser Teil der Stromflüsse innerhalb Gesamteuropas geht über die Schweiz. Davon zu sprechen, dass die Schweiz keine Rolle spielt, diese Bewertung können wir definitiv nicht teilen.»

Plan B

Box aufklappen Box zuklappen

Swissgrid hofft nun auf den EUGH und arbeitet an einem Plan B: Das sind Einzelabkommen mit europäischen Netzbetreibern, um sich in Notlagen bilateral zu helfen. Und mehr Reserven im Inland, um das Netz eigenständig stabil zu halten.

Bei Terre droht der Rauswurf, bei einem weiteren Gremium zeichnet sich ein ähnlicher Machtkampf ab und zwei neuen Strom-Plattformen durfte Swissgrid gar nicht erst beitreten. Mit jedem Jahr werde das gefährlicher, sagt Spicker, weil die europäischen Netzbetreiber ihre Absprachen immer stärker in diese Gremien verlagern würden. «Der Ausschluss der Schweiz führt zu zunehmenden Gefährdungen des stabilen und sicheren Netzbetriebs in der Schweiz und letztlich auch in der EU. Das ist eine Entwicklung, die sich immer stärker beschleunigt. Sie ist offensichtlich politisch motiviert.»

Die EU-Kommission nimmt zum Vorwurf, dass es sich um ein politisch motiviertes Manöver handle, nicht Stellung.

 

Echo der Zeit, 21.08.2023, 18 Uhr

Meistgelesene Artikel