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Corona und die Psyche Wie wir uns an die Krise gewöhnen

Der Bundesrat verzichtet zwar aktuell noch auf Verschärfungen der Massnahmen , die Kantone haben allerdings bereits Verschärfungen ergriffen . Doch Forderungen nach nationalen Verschärfungen auch angesichts der neusten Virus-Variante werden immer lauter. Pendeln, Freunde treffen, kein Homeoffice – Die Frage drängt sich auf, ob die Gesellschaft gegenüber der Pandemie Gleichmut empfindet und sich daran gewöhnt hat.

Der Psychologe und Psychotherapeut Charles Benoy hat sich intensiv mit den Folgen von Corona beschäftigt: Das grosse Problem sei die menschliche Trägheit in Adaptionsprozessen.

Charles Benoy

Psychologe und Psychotherapeut, Charles Benoy

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Charles Benoy ist Psychologe und Psychotherapeut in der Rehaklinik des Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique in Luxemburg und am Zentrum für Psychosomatik und Psychotherapie der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.

Zu den Folgen der Corona-Pandemie hat er beim Verlag Kohlhammer ein Fachbuch veröffentlicht: «COVID-19. Ein Virus nimmt Einfluss auf unsere Psyche».

SRF: Die Corona-Situation in einigen Ländern ist besorgniserregend. Dennoch fallen wir nicht mehr in eine Schockstarre. Warum?

Charles Benoy: Es ist ganz normal, dass für einen Teil der Menschen mit der Zeit ein Gewohnheitseffekt eintritt. Man gewöhnt sich an Gefahren und der emotionale Affekt lässt nach. Es gibt aber auch Menschen, die nach wie vor unverändert starke Ängste haben.

Haben wir uns als Gesellschaft also bereits zu fest an die Bedrohung gewöhnt und handeln in der Folge nachlässiger als am Anfang der Pandemie?

Das Handeln der Gesellschaft kann nicht mit der Gewöhnung an die Situation in einen Kausal-Zusammenhang gesetzt werden. Es hat Studien über die Pandemie-Müdigkeit gegeben, welche beschreiben wollten, dass sich Leute im Verlauf der Pandemie immer weniger an die Massnahmen halten würden. Das hat sich aber nicht bestätigt.

Es scheint so, dass Leute, die eher nachlässig sind, dies auch weiterhin sind. Aber auch, dass jene, die von Anfang an vorsichtig waren, sich eher an die Massnahmen halten.

Taskforce-Chefin Tanja Stadler empfiehlt erneut das Tragen von Masken sowie das Reduzieren von Kontakten. Wie schnell können wir uns den Massnahmen anpassen?

Der grösste Teil der Menschen passt sich an Massnahmen an – ob diese gelockert oder verschärft werden. Weil sich diese schnell ändern, entstehen aber laufend neue Situationen. Daran muss sich jeder zuerst neu gewöhnen.

Dieser Adaptionsprozess braucht einfach Zeit.
Autor: Charles Benoy Psychologe und Psychotherapeut

Jeder Mensch ist darin unterschiedlich schnell. Deshalb werden sich die Wenigsten bereits am ersten Tag komplett an neue Massnahmen halten. Dieser Adaptionsprozess braucht einfach Zeit. Zudem sollte man den Effekt von Empfehlungen und angeordneten Massnahmen nicht vergleichen, das sind zwei verschiedene Sachen.

Wie läuft dieser Adaptionsprozess ab?

Die Information muss die Menschen zunächst erreichen. Auch müssen sie offen dafür sein, diese Informationen zu verstehen, mit dem eigenen Leben abzugleichen und diese dann in den Alltag zu integrieren. Erst dann ändert sich das Verhalten.

Wegen der Impfung steigt bei Geimpften das Sicherheitsgefühl

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Der Mensch muss stets eine Balance zwischen Freiheitsbedürfnis und Sicherheitsbedürfnis finden, sagt Benoy. Er fügt an, dass es dabei sehr individuell sei, wie der Mensch diese Balance auslege. Für den impfwilligen Teil der Gesellschaft habe die Impfung zum Teil zu diesem Sicherheitsgefühl beigetragen.

Gesellschaftlich gesehen müsse immer eine Balance gefunden werden, die die individuellen Sicherheits- und Freiheitsbedürfnisse der Menschen einbeziehe. Darauf würden auch die Infektionszahlen einwirken. Würden die Infektionszahlen hochgehen, dann steige das Sicherheitsbedürfnis. Würden diese runtergehen, dann würde auch das Freiheitsbedürfnis steigen, sagt Benoy. Insofern sei das ein dynamischer Prozess, der sich stets verändere.

Die Massnahmen wechseln stetig. Macht das ein Anpassen zusätzlich schwierig?

Grundsätzlich gilt: Adaption kostet immer Energie und ist träge. Denn es braucht immer eine gewisse kognitive wie auch physiologische Leistung. Und da sich jeder Mensch adaptieren muss, sind wir auch als Gesellschaft diesbezüglich träge.

Deswegen ist es schon so, dass es umso anstrengender für die Gesellschaft ist, je öfters sie sich in einer Pandemie umstellen muss. Das ist schwierig, aber dieser Prozess wird von jedem gefordert und lässt sich nicht verhindern.

Wie steht es um die Energie – schwindet diese, je länger die Pandemie dauert?

Das kann man so nicht sagen. Individuell kann das vielleicht als Argument verwendet werden.

Insgesamt ist die Kommunikation aber komplexer geworden. Es muss verstanden werden, was etwa geimpft, getestet, 2G oder 3G bedeutet – dies erfordert kognitives Verständnis. Insgesamt ist also die Adaptation energieaufwändiger geworden. Das heisst aber nicht, dass die Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, schwindet.

Das Gespräch führte Enrique Heer.

SRF 4 News, 24.11.21, 9 Uhr

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