Vergangenen November wurden sie verhaftet: eine Kolumbianerin und ihr Schweizer Partner. Französische und Schweizer Ermittler werfen ihnen Anschlagspläne vor – sowohl in Frankreich als auch der Schweiz. Der Mann sitzt seither in Frankreich in Haft, die Frau wurde inzwischen nach Kolumbien ausgeschafft.
Bisher kaum beachtet: Das Paar hatte kleine Kinder; zwei Jungen, die zum Zeitpunkt der Antiterror-Razzien drei Jahre sowie einige Monate alt waren. Ihr Schicksal war bisher nicht bekannt, doch nun zeigen Recherchen von Radio RTS und «10vor10»: Mit einer provisorischen Massnahme wird den Eltern das Sorgerecht entzogen, wie dem Entscheid des Waadtländer Kantonsgerichts vom 9. August 2018 zu entnehmen ist.
Bei der Verhaftung der Eltern waren die Kinder in die Obhut der Behörden gekommen, zumindest zeitweise waren sie danach bei Verwandten untergebracht. Um das Sorgerecht ist ein Rechtsstreit entbrannt, das haben die Eltern – aus der Haft beziehungsweise von Kolumbien aus – angefochten. Der Entscheid des Kantonsgerichts bestätigt nun das Vorgehen der Kindesschutzbehörden.
Verdacht auf sexuelle Handlungen
Begründet wird der provisorische Sorgerechtsentzug sowohl mit einem radikalen Gedankengut, das bei der Mutter nach wie vor vorhanden sei. Dazu kommen aber auch gravierende Missbrauchsvorwürfe. Dem Bericht der Kindesschutzbehörde sei zu entnehmen, so das Gericht, dass beide Jungen «Gegenstand schwerer und wiederholter Misshandlungen» der Eltern gewesen seien.
Erwähnt werden Verletzungen an den Knien, den Hüften sowie dem Oberkörper. In einem Fall bestehe Verdacht auf sexuelle Handlungen – gegen wen genau sich der Verdacht richtet, bleibt unklar.
Die Rede ist des Weiteren von Beschimpfungen und Bedrohungen. Sowie auch von ideologischer Indoktrinierung der Kinder – und von Neffen. Die Gewalt sei hauptsächlich vom Vater ausgegangen, die Mutter habe ihre Kinder nicht dagegen geschützt, so das Gericht.
Die Kinder seien auch einer Fehl-Ernährung ausgesetzt gewesen sowie sozial vernachlässigt worden, etwa indem die Mutter sie jeweils in einer Ecke «parkiert» habe, mit einem Tablet-Computer zur Ablenkung. Ausser der Gewalttaten habe es kaum Interaktionen zwischen Eltern und Kindern gegeben.
Eltern wollen Kinder offenbar entführen
Die Anwälte der Eltern wollten sich zu den im Urteil geschilderten Vorwürfen auf Anfrage von SRF nicht äussern. Aus dem familiären Umfeld des Paares ist zu hören, dass sie sich ungerecht behandelt fühlen und die gravierendsten Vorwürfe bestreiten. Gegen den Entscheid des Kantonsgerichts ist denn auch Rekurs eingegangen.
Dem Gerichtsentscheid ist zu entnehmen, dass der heute 30-jährige Vater teilweise reuig ist und Besserung gelobt. Er rechtfertigte sich mit seinem eigenen kulturellen Hintergrund – er stammt aus Bosnien. Er behauptet aber auch, das Familienleben werde einseitig negativ dargestellt.
Die heute 24-jährige Mutter sagte gemäss dem Urteil, sie sei sozial isoliert gewesen und habe vergeblich um Hilfe gebeten, etwa bei Behörden – eine Behauptung, die das Gericht nicht bestätigte. Die Mutter schrieb in einer Stellungnahme gegenüber dem Gericht: «Ich weiss, dass ich Fehler gemacht habe, alle haben gelitten und ich mehr als alle anderen.»
Nächste Instanz ist das Bundesgericht
Das Gericht kommentiert, es sei der Mutter wahrscheinlich nicht bewusst, welche Misshandlungen ihre Kinder erdulden mussten. Zudem sei erwiesen, dass die Mutter ihre Kinder weiterhin als sogenannte «Löwenkinder des Kalifats» erachte.
Gemäss Gerichtsentscheid bestehe zudem Entführungsgefahr – Mutter und Vater würden trotz der Gewalttaten noch immer am gleichen Strick ziehen und versuchten teils über Verwandte, für die Kinder Reisepapiere und Geld zu besorgen. In zumindest einem Fall sogar mit Drohungen gegen Verwandte.
Dies mit dem Ziel, die Kinder nach Kolumbien bringen zu lassen. Das konnten die Waadtländer Kindesschutzbehörden bisher verhindern, nun auch mit Rückhalt des Kantonsgerichts.
Psychiaterin sieht gute Erholungschancen
Wo die Kinder heute untergebracht sind, halten die Behörden aus Schutzgründen geheim. Wie es mit der Zuteilung des Sorgerechts weitergeht, ist offen. Als nächste Instanz wird sich das Bundesgericht mit dem Rekurs befassen.
Kleinkinder, die derartiger Gewalt und Vernachlässigung ausgesetzt waren und zudem in einem extremistisch eingestellten Haushalt aufwachsen, hätten durchaus Chancen, dereinst ein normales Leben führen zu können, sagt Cornelia Bessler, Chefärztin am Zentrum für Kinder- und Jugendforensik der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK).