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Tessin Mendrisio will mehr weibliche Strassennamen

Zwei Strassen in Mendrisio sind nach Frauen benannt. Das soll sich nun ändern – eine Kommission geht auf Namenssuche.

Kopf dieser Kommission, die jetzt auf Frauennamenssuche geht, ist ausgerechnet der Legist Daniele Caverzasio. Rechtsparteien verschreiben sich üblicherweise weniger Frauenanliegen. Caverzasio sagt, Auslöser für diese Frauenstrassennamen-Suche seien diverse politische Vorstösse zum Thema gewesen.

Das sei eine gute Sache, er selbst sei sehr für die Gleichberechtigung. «In einer ersten Etappe suchen wir jetzt Frauen, die Mendrisio geprägt haben. Dazu haben wir die Unterstützung von Historikerinnen, die uns helfen, diese Frauen überhaupt kennenzulernen», sagt Caverzasio.

Vorerst acht Plätze oder Strassen umbenennen

Das könnte beispielsweise Linde Brenni sein, die erste Gemeinderätin von Mendrisio. Oder die Architektin Flora Ruchat, die erste ordentliche Professorin an der ETH in Zürich. Bis Weihnachten sollen acht Plätze oder Strassen von Mendrisio Frauennamen tragen. Dann schaue man weiter, sagt Caverzasio.

Flora Ruchat
Legende: Die Architektin Flora Ruchat-Roncati (1937-2012) galt als wichtige Vertreterin der «Tessiner Schule». Keystone

Aber es gebe nicht das Ziel, dass die Hälfte der Strassen Frauennamen tragen sollen. Idealerweise fokussiere sich die weitergehende Suche auf neue Strassen in den neu entstandenen Quartieren, sagt der Lega-Gemeinderat. So müssten nicht zu viele Bewohnerinnen und Bewohner ihre Adresse ändern.

Das Leben der Menschen wird dadurch nicht anders, ausser dass der eine oder die andere eben vielleicht die Adresse ändern muss.
Autor: Daniele Caverzasio Gemeinderat von Mendrisio

Caverzasio zum Sinn dieser Arbeit: «Wir verstehen alle, dass diese Namensänderung der Strassen ein Zeichen ist. Das Leben der Menschen wird dadurch nicht anders, ausser dass der eine oder die andere eben vielleicht die Adresse ändern muss. Aber das Zeichen, das wir geben ist sehr wichtig. Es zeigt, dass ein Mentalitätswandel im Gange ist.»

Verzerrte Wahrnehmung

Gleicher Meinung ist Deborah Oliveira, Wissenschaftlerin am Institut für Geschlechterforschung der Universität Basel. «Frauen haben ebenso einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft geleistet, sind aber bei der Benennung der Strassen stark untervertreten. Damit wird ihr Beitrag zur Gesellschaft unsichtbar gemacht.»

Es werde oft gesagt, es gebe keine passenden Frauen. «Das ist Ausdruck unserer verzerrten Wahrnehmung, unserer falschen Geschichtsschreibung, die eben eine Geschichtsschreibung von Männern über Männer war», sagt Oliveira. Erst wenn die Leistungen der Frauen vollkommen anerkannt werden, sei der Weg frei für echte Chancengleichheit.

Vorstösse auch in anderen Städten

Nicht nur im Tessin wird derzeit übrigens eifrig nach Frauen-Strassennamen gesucht. Auch in der Stadt Bern wurde dazu ein Vorstoss eingereicht. Obwohl Bern verhältnismässig gut dasteht: Von den Strassenschildern, die durch Menschen geprägt sind, trägt dort immerhin jede sechste Strasse einen Frauennamen.

In der Stadt Basel, die sich selbst gern als weltoffen bezeichnet, trägt nur jede 13. Strasse einen Frauennamen. Auch in Basel sei man sich der Thematik bewusst, heisst es. Eine Thematik, die historisch bedingt ist. Entsprechend dürfte es dauern, bis ein anderer Zeitgeist sichtbar wird – in der ganzen Schweiz, nicht nur im Tessin. Dort aber besonders.

Rendez-vous, 17.09.2020, 12:30 Uhr

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