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Tierfreundlichere Alternativen Milchmastkälber – Pflege statt Antibiotika?

Zehntausende Milchmastkälber brauchen noch immer regelmässig Antibiotika. Dabei gäbe es Auswege.

Die meisten Kälber der Schweiz, über eine halbe Million, kommen auf Milchbetrieben zur Welt. Unmittelbar nach der Geburt werden die allermeisten Kälber von der Mutterkuh getrennt.

Ein Drittel der Kälber werden Milchkühe, und wenige mästen die Milchbauern für Kalbfleisch selber. Rund 100'000 Kälber verlassen jährlich den Geburtsmilchbetrieb und gehen danach in die Kälbermast.

Diese sogenannten Milchmastkälber sind die gesundheitlich schwächsten Kälber in der Schweiz. Sie bekommen deshalb am meisten Antibiotika. Denn: Die Gesundheitsfürsorge für die Kälber rechnet sich für Milchbauern nicht.

Antibiotikaverbrauch: Studie der Universität Bern

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Es ginge auch mit weniger Antibiotika. Das zeigt eine Studie der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern: Unter der Leitung von Veterinärin Mireille Meylan konnte der Antibiotikaverbrauch mehr als fünfmal reduziert und die Sterblichkeit halbiert werden. Die wichtigsten Kriterien: Nur gesunde Kälber wurden direkt vom Geburts- zum Mastbetrieb gebracht. Dort wurden sie gegen Lungenentzündungen geimpft und drei Wochen in einem Einzeliglu gehalten. Nach der Quarantäne kamen sie in ein Gruppeniglu mit bedecktem Auslauf, Frischluft und viel Einstreu.

Vielen Keimen ausgesetzt

Mireille Meylan von der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern erklärt: «Sie werden in der Regel vorher nicht geimpft. Die Milchproduzenten müssten für die Impfung eine finanzielle Kompensation erhalten, damit es für sie sinnvoll wird.»

Auf dem Mastbetrieb, wo Kälber aus verschiedenen Betrieben zusammenkommen, so die Veterinärin Meylan, sind die Kälber Viren und Bakterien ausgesetzt: «Das ist eine neue Umgebung, da sind sie auch gestresst und geradezu prädestiniert für Krankheiten.» Vor allem Lungenentzündungen seien häufig. Rund vier Prozent der Mastkälber sterben deshalb vorzeitig.

Zahlen aus der Tierverkehrsdatenbank

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2018 verendeten von total 676'025 Lebendgeburten bei allen Kälbern nach 30 Tagen 23'248 Kälber, nach 120 Tagen 37'034 Kälber.

Freiwillige Massnahmen für weniger Antibiotika

Damit die Kälber nach dem Umzug gesünder sind, werden etwa zehn Prozent aller Milchmastkälber präventiv mit Erstmilch, Impfungen und Vitaminen behandelt. Somit kann sich auch die Antibiotikagabe in einigen Fällen reduzieren. Der Mehraufwand mit den sogenannten «Gesundheitstränkern» wird den Bauern von den Mästern vergütet.

Kalb trinkt bei Mutterkuh

Ganz andere Wege, zurück zur Natur, gehen in der Schweiz mittlerweile rund fünfzig vorwiegend Label-Milchbetriebe. Sie betreiben die so genannte Mutter- und Ammengebundene Kälberaufzucht. Die Kälber trinken nicht aus einem Nuggi oder Eimer Milch, sondern zweimal am Tag bei einer Amme oder der eigenen Mutterkuh. Das hat verschiedene Vorteile, erklärt Claudia Schneider, die für Bio-Suisse Betriebe berät: «Die Kälber zeigen keine Verhaltensstörungen wie das gegenseitige Besäugen.» Dazu komme, dass die Kälber einfach robuster seien und kaum Antibiotika brauchten.

Preisgekrönte Milch aus Muttergebundener Aufzucht

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Dass mit Kälbern geteilte Milch trotzdem von bester Qualität sein kann, beweist Martina Knoepfel vom Brüederhof im Kanton Zürich. Hier können die Kälber zweimal am Tag für mehrere Stunden zu ihren Müttern. Etwa fünf Liter trinkt ein kleines Kalb jeweils am Euter. Danach lassen sich die Mutterkühe an der Maschine ausmelken, wenn man sie von Anfang an daran gewöhnt. Früher büssten die Behörden den Brüederhof für dieses System, beanstandet hat sie aber die Bio-Milch noch nie. Im Gegenteil, für diese Milch erhielt Familie Knoepfel mehrere Preise.

Das Problem dieser Kälberaufzucht: Wegen eines Gesetzesartikel in der Verordnung über Lebensmittel tierischer Herkunft ist der Verkauf dieser Milch zwar nicht explizit verboten, aber eigentlich auch nicht erlaubt.

Die Vernehmlassung für eine revidierte Verordnung ist kürzlich zu Ende gegangen. Tritt diese im neuen Jahr in Kraft, könnten die Milchbauern ihre Milch legal vermarkten. Die Grossverteiler Migros und Coop haben bis jetzt noch kein Interesse an einem Label bekundet.

Service:

Stellungnahme Schweizer Milchproduzenten Swissmilk

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«Der Antibiotikaeinsatz in der Schweizer Nutztierhaltung hat sich in den letzten zehn Jahren rund halbiert und wird noch weiter zurückgehen. Es ist erwiesen, dass Kälber, welche auf dem Geburtsbetrieb aufwachsen im Mittel einen sehr geringen Heilmitteleinsatz erfordern. Dazu kommt, dass sehr viele Landwirte die Besamungen der Kühe sehr gezielt vornehmen lassen, so fallen kaum ‘überschüssige’ Kälber an.

Die Schweizer Milchproduzenten unterstützen die Aktivitäten des Kälbergesundheitsdienstes KGD. Nach unserer Auffassung muss für Tränker, welche diese zusätzlichen Anforderungen erfüllen, ein Preiszuschlag bezahlt werden. Das funktioniert aber heute noch nicht, weil die nachgelagerten Bereiche noch nicht ausreichend motiviert sind.

Die Schweizer Milchproduzenten SMP sind mit der Legalisierung von Milch aus Muttergebundener Aufzucht grundsätzlich einverstanden und haben sich in der Vernehmlassung in diesem Sinne geäussert. Bisher war das bei den Grossverteilern aber leider noch kein Thema.»

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