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Todesfall in Saas-Grund «Die Frage ist: War der Lawinenniedergang vorhersehbar?»

In Saas-Grund kam bei einem Niedergang einer Lawine am Wochenende eine Person ums Leben. Weil sich der Unfall auf einer markierten Piste ereignete, ist er ein Fall für die Justiz geworden. Der Jurist ordnet ein.

Felix Bommer

Professor Dr. iur. Universität Zürich

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Seit 2018 ist Felix Bommer ordentlicher Professor für Straf-, Strafprozessrecht und internationales Strafrecht an der Universität Zürich. Zuvor war er unter anderem lange an der Universität Luzern tätig, auch als Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät.

SRF News: Wenn eine Piste geöffnet ist, also als sicher eingestuft wird, wer haftet dann, wenn trotzdem jemand zu Schaden kommt?

Felix Bommer: Ich kann mich nicht zum konkreten Fall äussern, sondern nur allgemein. Grundsätzlich haftet auf einer offenen Piste, die von einer Lawine verschüttet wird, die Bergbahn-Unternehmung. Und da muss man unterscheiden.

Weil eine Person ums Leben gekommen ist, geht es um fahrlässige Tötung.

Strafrechtlich gesehen haftet nicht die Unternehmung, sondern die Person in der Unternehmung, die für die Sicherheit der Pisten verantwortlich ist. Das ist meistens der Pisten- und Rettungschef oder, wenn die beiden Funktionen getrennt sind, der Pistenchef.

Niemand kann garantieren, dass keine Lawine niedergeht, auch nicht bei einer markierten Piste. Welche Pflichten müssen erfüllt werden, damit man sich nicht strafbar macht?

Die Frage ist: War dieser Lawinenniedergang vorhersehbar? Das ist für jedes Fahrlässigkeitsdelikt die entscheidende Frage. Weil eine Person ums Leben gekommen ist, geht es in diesem Fall um eine fahrlässige Tötung. Eine Haftung wegen fahrlässiger Tötung setzt voraus, dass eine Sorgfaltspflicht verletzt worden ist. Und die Sorgfaltspflicht, die wird dann verletzt, wenn vorhersehbar war, dass eine Lawine über diese Piste herunterrollen könnte.

Lawine geht über eine Felswand
Legende: Laut Polizeiangaben war der verschüttete Skifahrer auf einer Pistentraverse im Skigebiet Kreuzboden-Hohsaas unterwegs. (Symbolbild) Symbolbild/Imago/Pond5 Images

Und was wären die strafrechtlichen Konsequenzen bei einer Verurteilung?

Bei einer Verurteilung nach Artikel 117? Das ist die fahrlässige Tötung. Da droht das Strafgesetz eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre oder eine Geldstrafe an.

Die Haftung der Seilbahnunternehmung erstreckt sich auf geöffnete Pisten.

Derzeit prüft die Staatsanwaltschaft zusammen mit der Polizei die Eröffnung eines Strafverfahrens. Was wird da genau geprüft?

Hier wird geprüft, ob Anzeichen dafür bestehen, dass diese Lawine hätte vorhergesehen werden können. Und wenn das der Fall gewesen wäre, dann hätte man die Piste sperren müssen. Diese Frage wird aber die Staatsanwaltschaft nicht aus eigener Kompetenz beantworten können, sondern dafür braucht es regelmässig ein Gutachten.

Normalerweise werden Lawinentodesfälle oder Lawinenverletzte abseits der markierten Piste verzeichnet. Wie sieht die Haftbarkeit abseits der markierten Piste aus?

Die Haftung der Seilbahnunternehmung beziehungsweise ihrer Verantwortlichen erstreckt sich auf die Pisten, die geöffnet sind. Nicht auf geschlossene Pisten. Wenn in unserem Beispiel die Piste geschlossen worden wäre und jemand hätte sich über diese Schliessung hinweggesetzt und die Piste trotzdem befahren und wäre dabei verunglückt, dann ist das nicht mehr ein Problem für die Seilbahnunternehmung oder für Ihre Sicherheitsverantwortlichen.

Das Gespräch führte Marc Allemann.    

SRF 4 News, 4.3.2023, 16:35 Uhr ; 

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