Die Einführung einer Deklarationspflicht vor drei Jahren hat nichts gebracht: Nach wie vor sterben jährlich 2500 trächtige Kühe in Schweizer Schlachthöfen, ihre ungeborenen Kälber verenden qualvoll.
Die Branche zeigt sich einsichtig und will nun für jede Schlachtung einer trächtigen Kuh eine Gebühr von 100 Franken erheben. Von der Gebühr ausgenommen sind nur Fälle, in denen Tiere aus einer Not heraus abgetan werden – etwa, wenn die Kühe verletzt oder krank sind.
Wie kann es überhaupt so weit kommen, dass trächtige Tiere geschlachtet werden? Und reicht eine Gebühr von 100 Franken aus, um dem Leid von Kühen und Kälbern ein Ende zu bereiten? Experten sind sich uneins.
Der Bauernpräsident
Bauernpräsident Markus Ritter zeigt Verständnis für die Landwirte. Ihmzufolge kommt es unter anderem im Rahmen der Mutterkuh-Haltung zum besagten Problem. «Da läuft oft der Stier mit. Und so kann es auch zu einer Trächtigkeit kommen, wo man sie nicht erwartet hat.» Es sei aber unbestritten, «dass der Bauer hier aufmerksam sein muss.»
Dass die Branche das Problem mit einer 100-Franken-Gebühr selbst zu regeln versuche, erachtet der Nationalrat (CVP/SG) als sinnvoll und angemessen. «100 Franken sind ein klares Signal. Diesen Betrag möchte ein Bauer am Verkaufspreis keinesfalls verlieren.» Ob die Massnahme indes die notwendige Wirkung zeige, müssten die kommenden Monate zeigen.
Die Agronomin
«Kein Verständnis für die Bauern» hat demgegenüber Agronomin Martina Munz. «Der Bauer schlachtet Kühe aus ökonomischen Gründen. Etwa, wenn er in einem trockenen Sommer zu wenig Futter gewinnt und er damit entsprechend weniger Tiere überwintern lassen kann. Da halten ihn hundert Franken Gebühr, die die Branche erhebt, auch nicht davon ab, eine trächtige Kuh zur Schlachtbank zu bringen. Die Busse steht in keinem Verhältnis.»
Das Problem lässt sich nur lösen, wenn die Schlachtung trächtiger Kühe offiziell verboten wird.
Es ginge auch nicht an, dass der Bauer den Notfall definiere. «Das muss ein Tierarzt machen», betont Munz. Angesichts der konstant hohen Zahlen von trächtigen Tieren im Schlachthof überlegt sich die Nationalrätin (SP/SH), sich mit dem Tierschutz in Verbindung zu setzen – «um zu prüfen, ob und wie man eine griffige gesetzliche Anpassung veranlassen könnte.»
Denn Munz ist überzeugt: «Das Problem lässt sich nur lösen, wenn die Schlachtung trächtiger Kühe offiziell verboten wird und die Schlachthöfe Strafanzeige erlassen. Dann hat der Bauer alle Konsequenzen zu tragen – bis hin zu einem Halteverbot.»
Der Metzger/Betriebswirtschafter
Nach Ansicht von Nationalrat Mike Egger (SVP/SG) hingegen sind Schuldzuweisungen «fehl am Platz». Man solle nicht bestrafen, was niemand wollen könne, sagt der gelernte Metzger und Betriebswirtschafter: «Ich bin überzeugt. Niemand will ein junges Tierli so aufgeben. Das ist ein Verlust für den Bauer, führt zu Mehrkosten beim Fleischverarbeiter – etwa in der Entsorgung – und wird dem Leben des Tieres an und für sich nicht gerecht.»
Aber sind die Bauern auch imstande, eine Notsituation zu erkennen – die Bedingung, unter der eine Notschlachtung nachvollziehbar ist? «Unsere Bauern haben genug Feingefühl und eine genügend gute Ausbildung, um einen Notfall zu erkennen», ist Egger überzeugt. «Und der Metzger sieht das Tier ja auch noch. Allenfalls im Streitfall könnte man den Tierarzt noch hinzuziehen.»