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Trotz härterem Gesetz Raserdelikte nehmen nicht ab – und der Abschreckungseffekt?

Seit zehn Jahren gibt es harte Strafen beim sogenannten Rasertatbestand. Die Verurteilungen nehmen trotzdem nicht ab. Was sind die Gründe – und welche Massnahmen würden helfen?

Worum geht es? Die Kantonspolizei Luzern hat in der Nacht auf Sonntag eine 19-jährige Autolenkerin mit 206 Kilometern pro Stunde in der 80er-Zone erwischt. Ihren Fahrausweis ist sie los.

Es ist nur ein Beispiel von vielen. Immer wieder sind solche massiven Geschwindigkeitsübertretungen in den Schlagzeilen. Wird in der Schweiz vermehrt gerast?

Wer gilt als Raser? Die Schweiz hat seit zehn Jahren ein strenges Rasergesetz. Seit Januar 2013 ist der sogenannte Rasertatbestand gesetzlich verankert ( SVG Art. 90 Abs. 3 und 4 ). Bei einem Raserfall erhält man zwingend eine Freiheitsstrafe. Zudem verliert man den Führerausweis für mindestens zwei Jahre, im Wiederholungsfall ist er für bis zu zehn Jahre weg. Es erfolgt auch eine charakterliche Fahreignungsuntersuchung, und das Fahrzeug kann entzogen werden.

Wie ist die Entwicklung? Der erste Blick in die Statistik ist ernüchternd: Gab es im Jahr der Einführung noch 51 Verurteilte, waren es 2021 nun 501 Fälle.

«Warum es 2021 einen Anstieg der Fälle gab, analysieren wir zurzeit», sagt Willi Wismer, Präsident von Roadcross. Mögliche Gründe seien die Corona-Pandemie oder dass Junge mehr Geld für hochpotente Fahrzeuge zur Verfügung hatten.

Warum die Delikte zunehmen, kann man auch seitens der Strafbehörden nicht eindeutig bestimmen. Die Polizei sei aktiver mit Kontrollen, aber die Zahl der Raserfälle habe vermutlich ebenfalls zugenommen, äusserte sich der zuständige Zürcher Staatsanwalt Michael Huwiler bereits 2021 gegenüber  SRF , als der Kantonspolizei ein Coup gegen ein Rasernetzwerk gelang.

Auto fährt auf Strasse
Legende: Über die Autobahn rasen als Freiheitsgefühl: Besonders junge Lenkerinnen und Lenker zelebrieren das Rasen, auch auf Social Media. Gaetan Bally / Keystone

Was ist mit dem Abschreckungseffekt? Trotz der Zunahme 2021 ist Willi Wismer von Roadcross überzeugt, dass das Rasergesetz Wirkung zeigt: «Wir hätten viel mehr Unfälle, wenn es das Rasergesetz nicht gäbe. Es hat eine abschreckende Wirkung und wird Leute vom Rasen abhalten», so Wismer.

Es ist traurig, dass solche Personen nicht auf eine Rennpiste gehen.
Autor: Willi Wismer Präsident Roadcross

Aber es gebe natürlich auch Personen, die man auch durch die härtesten Strafen nicht vom Rasen abbringen kann. «Es ist traurig, dass diese Personen nicht auf eine Rennpiste gehen, um dies auszuleben», bedauert Wismer.

Wer sind die Raser? Rasen ist besonders bei den Jungen beliebt: Am meisten Verurteilte findet man in der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen, gefolgt von den 25- bis 30-Jährigen.

Der Grossteil sind Männer. Für den pensionierten Verkehrspsychologen Urs Gerhard ist das Testosteron mit ein Grund für das unausgeglichene Geschlechterverhältnis. «Das Testosteron fördert Aggression auf ganzer Linie.» Rasen könne man dabei als einen Aspekt der Aggression sehen. Es seien zudem meistens Personen aus eher bildungsfernen Schichten, die selten eine gute Ausbildung hätten oder im Beruf erfolgreich seien. «Die Raser versuchen, ein Feld zu finden, in dem sie herausstechen können.»

Was könnte sonst gegen Raserei helfen? «Man müsste über einen politischen Vorstoss für einen Stufenanstieg nachdenken», findet Wismer. «Warum kommt ein junger Neulenker so einfach an ein Fahrzeug, das 500 bis 1000 PS hat?» In einem solchen Stufenmodell, das man bei Motorrädern kennt, dürfte ein Neulenker zuerst für einige Jahre nur mit einem normal potenten PKW fahren.

Raserartikel wird doch nicht aufgeweicht

Box aufklappen Box zuklappen

Stände- und Nationalrat wollten den Raserartikel massiv aufweichen. Dabei sollte die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr abgeschafft werden.

Doch das sorgte für viel Gegenwind aus der Bevölkerung und von Verbänden wie Roadcross: Rasen solle nicht zum Kavaliersdelikt verkommen, so die Forderung. Da der Denkzettel an der Urne drohte, kam es 2022 zu einem Kompromiss: Die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr soll weiterhin gelten. Allerdings soll im Gesetz explizit festgeschrieben werden, dass die Richterinnen und Richter Ermessensspielraum erhalten.

Dieser Spielraum soll dann genutzt werden können, wenn ein Autoraser beispielsweise nicht wegen Verkehrsdelikten vorbestraft ist oder wenn es nachvollziehbare Gründe für das schnelle Fahren gibt, beispielsweise aus medizinischen Notfällen.

Laut Verkehrspsychologe Gerhard reicht der drohende Fahrausweisentzug nicht: «Es bräuchte dichtere Kontrollen oder bei Junglenkern gar eingebaute Fahrtenschreiber, die genau aufzeichnen, wie schnell sie innerorts und ausserorts fahren.»

Regionaljournal Luzern, 04.05.2023, 17:30 Uhr

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