Zum Inhalt springen

Türkische Bildungsoffensive «Gegen Bildung spricht gar nichts – gegen Propaganda sehr viel»

Ankara plant Wochenendschulen für türkische Kinder in der Schweiz. Die oberste Bildungsdirektorin sieht das gelassen – doch ein Integrationsexperte ist alarmiert.

Wöchentlich zwei Stunden Sprache, je eine Stunde Religion, Geschichte und Kultur: So sollen Auslandtürkinnen und -türken zu aktiven Individuen werden und die Beziehung zum Mutterstaat behalten, wie es auf der Internetseite des Ministeriums für Auslandtürken heisst. Was spricht da dagegen?

Integrationsexperte Thomas Kessler sagt: «Gegen Bildung spricht gar nichts. Gegen Propaganda sehr viel.» Und der Verdacht liege nahe, dass es vor allem um Staatspropaganda gehe. Darum, die aktuelle Politik des türkischen Präsidenten Erdogan zu stützen. Das beginne bereits bei der Sprache.

«Welche» Türkei wird unterrichtet?

Die Türkei sei ein Vielvölkerstaat, so Kessler. Also müsste neben türkisch etwa auch aramäisch und kurdisch unterrichtet werden: «Auch müsste der Geschichtsunterricht neutral sein und die gesamte Kulturgeschichte der Türkei kommuniziert werden.»

Im Kontext zur Kampagne gegen die Gülen-Bewegung, der Islamisierung und der osmanischen Geschichtsdeutung bestünden aber «grosse Zweifel, dass der Unterricht neutral sein wird», meint Kessler.

Die Behörden müssen proaktiv mit der Botschaft und den offiziellen Partnern in Kontakt treten und die Spielregeln klären.
Autor: Thomas Kessler Integrationsexperte

Was der türkische Staat hier plane, sei grundsätzlich nicht neu. Kessler verweist auf die sogenannte Italienerschulen, die es in der Schweiz bereits seit den 70er-Jahren gibt. Auch dort wurde (und wird teilweise immer noch) den Italienerinnen und Italienern von aus Rom finanzierten Lehrern Geografie, Heimatkunde und Sprache vermittelt.

Verfrühter Alarmismus?

Auch wenn die Italienerschulen nicht mit der Bildungsoffensive Erdogans zu vergleichen seien, sei die Installierung damals auch nicht konfliktfrei verlaufen: «Es gab damals eine katholisch und eine kommunistisch geprägte Diaspora. Dieser Konflikt war virulent, und hat dafür gesorgt, dass diese Schulen wirklich neutral waren. Denn sonst hätte sofort die Hälfte der Eltern rebelliert.»

Es ist zu früh zu beurteilen, ob diese Bildungsoffensive des türkischen Staates erfolgreich sein wird und ob sie gegen unsere gängige Gesetzgebung verstösst.
Autor: Silvia Steiner Oberste Bildungsdirektorin

Die Präsidentin der kantonalen Erziehungsdirektoren Silvia Steiner sieht im Zusammenhang mit den türkischen Schulen keinen Handlungsbedarf: «Es ist etwas früh zu beurteilen, ob diese Bildungsoffensive des türkischen Staates erfolgreich sein wird und ob sie gegen unsere Gesetzgebung verstösst.»

Im übrigen könne sie weder als Bildungsdirektorin des Kantons Zürich noch als Präsidentin aller 26 Bildungsdirektoren Einfluss auf die Pläne der Türkei nehmen, da dieses Schulangebot freiwillig und in der Freizeit erfolgten.

Appell an den Bund

Integrationsexperte Kessler widerspricht. Die Behörden müssten unbedingt jetzt aktiv werden: «Man kann nicht warten bis Reklamationen kommen. Man muss proaktiv mit der Botschaft und den offiziellen Partnern in Kontakt treten und die Spielregeln klären.» Kessler appelliert hier aber nicht an Bildungsdirektorin Steiner, sondern an Bern. Dies sei Aufgabe des Bundes.

Das EDA antwortet auf eine bereits letzte Woche eingereichte Anfrage von SRF News im Zusammenhang mit der Kontrolle von sogenannten ergänzenden Schulangeboten für Migrantenkinder wie folgt: «Das EDA steht mit der türkischen in regelmässigem Kontakt. Einzelheiten zu den erörterten Themen werden grundsätzlich nicht öffentlich kommentiert.»

Integrationsexperte Kessler hofft, dass auf diesem Weg auch die geplante Bildungsoffensive der Türkei zur Sprache kommt und die Schweiz klar Leitplanken setze.

Meistgelesene Artikel