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Über 800 Schweine tot Nach Brand in Gossau: Tierschutz fordert strengeren Brandschutz

Vor zwei Wochen starben 800 Schweine. Der Tierschutz will Veränderung. Doch Bund und Kantone sehen keine Verantwortung.

Am Samstag haben sich wenige Dutzend Menschen am Bahnhof Gossau versammelt. Sie spazieren zu einem Bauernhof, zünden Kerzen an, legen Rosen nieder, gedenken der über 800 verstorbenen Schweine – eine Mahnwache.

Zwei Wochen ist es her, als in Gossau in einem Schweinezuchtbetrieb ein Feuer ausbrach. Die Feuerwehr traf ein, konnte aber nicht mehr verhindern, dass ein Schweinestall komplett ausbrannte. Menschen blieben unverletzt, aber rund 800 Schweine verendeten. Glücklicherweise konnten rund 90 Mutterschweine und 600 Ferkel in einem zweiten Stall nebenan gerettet werden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Tiere bei Stallbränden ums Leben kamen. Medienberichte von 2023 zeigen, dass schweizweit über Tausend Tiere durch Stallbrände getötet wurden. Der verheerendste Brand war in Bottens VD mit 500 toten Rindern im vergangenen Dezember. Letzten Juli starben 400 Ferkel im luzernischen Richental.

Nach dem Vorfall in Gossau schreibt die Organisation Tier im Recht (TIR) in einer Stellungnahme, dass alleine gemäss Medienberichten jährlich Hunderte Tiere in Stallbränden ums Leben kommen. Eine offizielle Statistik dazu gibt es nicht.

Staatsanwaltschaft St. Gallen untersucht Brand in Gossau

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Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen ein Strafverfahren gegen Unbekannt eröffnet, wie es auf Anfrage heisst. Unter anderem soll die Brandursache ermittelt werden. Infrage kämen unter anderem fahrlässige Brandverursachung, Brandstiftung oder auch ein technischer Defekt, heisst es von Seiten der Staatsanwaltschaft.

Weil das Verfahren aber noch andauere, gebe die Behörde derzeit keine weiteren Details bekannt. Erste Ergebnisse dürften – wenn überhaupt – erst in zwei bis drei Monaten kommuniziert werden.

«Durch geeignete Brandschutzmassnahmen könnte ein erheblicher Teil dieser Tiere gerettet werden», schreibt TIR. Auch andere Tierschutzorganisationen wie TIF, Peta und die führende Organisation für Tierschutz und Tierwohl in der Schweiz, der Schweizer Tierschutz STS, kritisieren die ungenügenden Brandschutzvorschriften beim Tierschutz.

«Politisches Trauerspiel»

Peter V. Kunz vom STS-Zentralvorstand nimmt den Bund in die Pflicht. Gegenüber dem Newsportal «Watson» sagt er, grundsätzlich sei der Bund gemäss Verfassung für den Tierschutz, insbesondere auch die Tierhaltung inklusive Stallhaltung, zuständig.

Was Ställe betreffe, mache der Bundesrat zahlreiche Vorgaben, etwa in Bezug auf Grösse, Beleuchtung und Belüftung. «Der Bundesrat macht aber keine ausdrücklichen Vorschriften, was den Brandschutz betrifft. Das finde ich falsch», so Kunz, der auch Professor für Wirtschaftsrecht ist. Aktuell sei die Tierschutzverordnung des Bundesrates in Revision. Es wäre «kein übermässiger Aufwand», die Verordnung mit Regelungen zum Brandschutz zu ergänzen.

Bauernpräsident von St. Gallen: keine Schuld der Bauern

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Die Sicht der Bauern: Dass man bei einem solchen tragischen Ereignis die Bauern kritisiert, geht für Peter Nüesch, Präsident des St. Galler Bauernverbands, nicht. Er züchtet selbst Schweine. Schweine im Brandfall zu schützen und zu retten, sei häufig fast unmöglich. Brandmelder seien in der Stallatmosphäre schwierig. In Ställen hätte es beispielsweise Staub und Stroh.

Und er fügt an: «Schweine sind keine Fluchttiere.» Um sie in einem Brandfall aus dem Stall zu befreien, müsste man jede Box einzeln öffnen, was in einer solchen Situation «sehr schwierig» sei.

Von einer Sprinkleranlage ist Nüesch zwar nicht abgeneigt. Wenn aber eine solche Anlage ohne einen Brandfall losgehen würde, würden «im dümmsten Fall» die Ferkel ertrinken, sagt Nüesch.

Dass eine Brandschutzanlage in einem Schweinestall nicht richtig funktioniere und Sprinkleranlagen gefährlich sein könnten, sei für den Präsidenten der Organisation Tier im Fokus, Tobias Sennhauser, eine «billige Ausrede».

Das zuständige Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) schreibt auf Anfrage, die Bundesverfassung sehe keine Bundeskompetenz zum Erlass von Brandschutzvorschriften vor. «Die Kompetenz zur Regelung des Brandschutzes für Mensch und Tier liegt bei den Kantonen.» Insbesondere, weil Wohneinheiten und Ställe häufig im selben Gebäude untergebracht seien, wäre es nicht zielführend, die Regelungskompetenz für Brandschutzvorschriften zwischen Bund und Kantonen aufzuteilen.

Rechtsprofessor Kunz spricht gegenüber dem Newsportal von einem «politischen Trauerspiel». Bund und Kantone schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu, zulasten unschuldiger Tiere.

Veränderung in weiter Ferne

Vergeblich hat die Tierrechtsorganisation TIR versucht, den Tierschutz in den Brandschutzvorschriften zu verankern. Und ob der Bund bei der Revision der Tierschutzverordnung Regelungen zum Brandschutz erlässt, wie es Peter V. Kunz vom Schweizer Tierschutz STS will, ist eher unwahrscheinlich.

Solange sich Bund und Kantone nicht über die Verantwortlichkeiten einig werden, dürften weitere Ställe in Flammen aufgehen – und mehr Tiere sterben.

Schweizaktuell, 21.05.2024, 19:00 Uhr;kesm

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