Stau bei Gerichtsfällen: Dieses Problem kennt man vielerorts in der Schweiz. Das Bezirksgericht Lenzburg AG hat nun die Notbremse gezogen. Bis im November will das Gericht keine neuen Verhandlungen ansetzen, wie die Aargauer Zeitung berichtet. Damit verlängern sich die Wartezeiten um bis zu drei Monate.
Die Ungewissheit kann das tägliche Leben einer betroffenen Person beeinträchtigen.
«Ein Gerichtsverfahren ist für alle Beteiligten sehr belastend, und je länger ein Verfahren dauert, umso mehr», stellt Gennaro Mastronardi fest, Geschäftsführer des Aargauischen Anwaltsverbands. Die Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens könne das tägliche Leben und die Zukunftsplanung einer betroffenen Person beeinträchtigen.
Dabei gibt es aber Unterschiede: Aus der Sicht des Anwalts könne eine lange Frist aber auch positive Folgen haben, gibt Rechtsanwalt André Kuhn zu bedenken.
Im Strafrecht kann es für Beschuldigte tatsächlich ein Vorteil sein, wenn es lange geht bis zur gerichtlichen Beurteilung.
Kuhn behandelt und begleitet vor allem strafrechtliche Fälle. «Wenn es lange dauert, hat jemand Zeit, sich zu bewähren und zu zeigen, dass er sich künftig an das Gesetz hält.»
Damit verbessere sich oft die sogenannte Legalprognose: Die Einschätzung, ob eine straffällige Person sich in Zukunft an die Regeln und Gesetze halten kann. Im besten Fall werde eine Strafe dann sogar nur auf Bewährung ausgesprochen, ergänzt André Kuhn.
Mehrere Gründe für starke Auslastung
Grund dafür, dass viele Gerichte stark gefordert sind, seien unter anderem Gesetzesrevisionen, etwa die neu eingeführten eidgenössischen Straf- und Zivilprozessordnungen. «Aber auch erhöhte Anforderungen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts, gesellschaftliche Entwicklungen und auch eine Zunahme der Fälle spielen eine Rolle», sagt Jacqueline Keller, Leiterin Kommunikation bei den Gerichten Kanton Aargau.
Es brauche mehr Personal, folgert Justizsprecherin Keller. Die Aargauer Justizleitung habe deshalb beim Kantonsparlament eine Stellenerhöhung beantragt: 29 neue Stellen sollen den Stau bei den Gerichten entschärfen.
Digitalisierung als Lösung?
Anwalt André Kuhn hofft zudem auf die Digitalisierung: Justitia 4.0, das Digitalisierungsprojekt der Justizkonferenz. «Wenn die gesamten Verfahren digital geführt werden, auch der Austausch von Akten, dann könnte dies zu Effizienzsteigerungen führen.»