Mehr als 3000 unerledigte Fälle sind es zurzeit beim Bundesgericht. Bei den zwölf Zürcher Bezirksgerichten waren es letztes Jahr sogar knapp 10'000 Fälle, die nicht abgeschlossen werden konnten. Die Menschen müssten darum immer länger auf ein Urteil warten, sagt Sabina Motta vom Zürcher Obergericht.
«In einem Scheidungsverfahren warten die Parteien 13 Prozent länger als früher auf ein Urteil. In einem Strafverfahren wartet die Person unter Umständen bis zu 60 Prozent länger auf ein Urteil als früher.» Das sei für die betroffene Person sehr unangenehm, so Motta, «denn niemand ist gerne im Ungewissen darüber, ob er schuldig gesprochen wird oder nicht.»
Um vom Zürcher Kantonsparlament mehr Richterstellen zu erhalten, hat das Obergericht bei den unteren Gerichten Zahlen und Daten zusammengetragen. Es wollte möglichst genau wissen, warum die Pendenzenberge immer höher werden.
Mehr Menschen, kompliziertere Fälle
Die wichtigste Erkenntnis dabei: Die Bevölkerung ist im Kanton Zürich in den letzten 10 Jahren um mehr als 10 Prozent gewachsen. Das bedeutet automatisch auch mehr Scheidungen, mehr Strafverfahren. Die Zahl der Richterinnen und Richter blieb in dieser Zeit aber gleich.
Es gibt allerdings nicht nur mehr Verfahren als vor 10 Jahren, diese Verfahren sind auch komplizierter geworden. Eine vergleichsweise einfache Scheidungsverhandlung dauerte vor 5 Jahren eine halbe Stunde, heute braucht es doppelt so lange beim Gericht.
Unter anderem, weil die Gesetze heute viel genauere Berechnungen verlangten, wer für die Kinder wie viel Unterhalt bezahlen muss, erklärt Sabina Motta. «Wir haben Entscheide, bei denen wir acht oder neun verschiedene Lebensphasen voraussagen und berechnen müssen.»
Das betrifft zum Beispiel Kita, Primarschulalter, die Oberstufe und die Lehre. «Das ist sehr komplex und führt dazu, dass man wahnsinnig viel Arbeit hat. Und auch für die Parteien ist es nicht immer einfach nachzuvollziehen.»
Schweizweites Problem
Was an den Zürcher Gerichten zu hohen Pendenzenbergen führt, beschert auch den übrigen Gerichten im Land mehr Arbeit. Dies bestätigt Daniel Kettiger. Er ist Justizforscher an der Universität Bern und berät Gerichte in Organisationsfragen. «Die Gründe für die Überlastung der Gerichte finden sich verbreitet an schweizerischen Gerichten. Mir ist das alles sehr bekannt vorgekommen. Nicht, weil ich es schon einmal gelesen habe. Sondern, weil ich auf die genau gleichen Probleme gestossen bin in meinen Analysen.»
Die Gründe für die Überlastung der Gerichte finden sich verbreitet an schweizerischen Gerichten.
Doch hilft es, wenn die Gerichte nun einfach das Personal aufstocken? «Ja», sagt Daniel Kettiger. Um die hohen Pendenzenberge langfristig abzubauen, müsse man aber auf zwei Ebenen ansetzen. Einerseits brauche es mehr Personal, um die laufenden Fälle bearbeiten zu können.
«Das andere ist, dass man für eine beschränkte Dauer zusätzliche personelle Kräfte dem Gericht zuordnet, die den Pendenzenberg abbauen. Und so kriegt man normalerweise diese Überlastung von Gerichten wieder in den Griff.»
Sind die Pendenzen einmal abgebaut, sollten die Gerichte ihre Arbeit dank der zusätzlichen Stellen wieder bewältigen können. Damit die Menschen nicht immer noch länger auf ein Urteil warten müssen.