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Überschwemmungen im Jahr 1999 Der Tag, an dem die Schweiz von Hochwasser heimgesucht wurde

Vor 25 Jahren traten vielerorts Seen und Flüsse über die Ufer. Ein Blick in die Vergangenheit – und die Lehren daraus.

Überflutete Städte, ganze Landstriche unter Wasser und Menschen, die evakuiert werden müssen: Was sich eher nach Auslandsnachrichten anhört, spielte sich vor 25 Jahren auch in der Schweiz ab.

«In der Berner Matte fuhren die Leute mit Booten herum», sagt Christoph Hegg, Geschäftsführer der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), in einem neuen Bericht.

Menschen in der Stadt auf Booten? Ja. Im Berner Mattequartier mussten sogar hundert Menschen vor den Wassermassen in Sicherheit gebracht werden. Auch in Thun und Rheinfelden waren Teile der Stadt geflutet. Der Bodensee und der Vierwaldstättersee traten vielerorts über die Ufer.

«Die Hochwasser an Auffahrt und Pfingsten 1999 gehören bis heute zu den grossflächigsten und schadensreichsten Frühlingshochwassern in der Schweiz», schreibt das Institut. Die Überschwemmungen hätten Schäden in Höhe von 580 Millionen Franken verursacht, die meisten davon im Kanton Bern. Betroffen sei das gesamte Mittelland gewesen.

«Lawinenwinter» und viel zu viel Regen

Wie es dazu gekommen ist, beschreibt das WSL so: Alles beginnt im Winter 1999: Zwischen Januar und März schneit es überdurchschnittlich viel. Die hohe Schneedecke führt in den Bergen zu zahlreichen Lawinen.

«Lawinenwinter 1998/99»

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Im Winter 1998/99 schneite es viel – sehr viel. Fünf bis acht Meter Neuschnee innerhalb von vier Wochen gab es am Alpennordhang, schrieb die Forschungsanstalt in einem weiteren Bericht.

Diese Schneemengen führten in der Schweiz und im Alpenraum zu einigen Lawinenunfällen. Das WSL spricht daher vom «Lawinenwinter». Strassen und Bahnlinien waren unterbrochen, manche Dörfer waren ohne Strom, Einheimische und Hunderttausende Touristen sassen fest.

Innerhalb eines Monats entstanden Schäden in Höhe von rund 600 Millionen Franken. Es gab auch 17 Todesopfer.

Dann, Ende März 1999, taut der Schnee in tieferen Lagen ab. Hinzu kommt: Im April prasselt stellenweise doppelt so viel Regen nieder wie normal. Weil es allmählich wärmer wird, beginnt Ende April auch der Schnee in den Bergen zu schmelzen. Die Böden sind aber bereits gesättigt. Ein grosser Teil des Schmelzwassers fliesst in die Seen der Voralpen. Noch fangen sie die Wassermassen auf.

Doch Mitte Mai, zwei Tage vor Auffahrt, beginnt es entlang des Alpennordrandes tagelang zu regnen. Die Auffangkapazitäten reichen nicht mehr aus. An Auffahrt laufen Seen und Flüsse über und überschwemmen weite Teile des Siedlungsgebiets. Wenige Tage später, an Pfingsten, regnet es erneut. Die Gewässer treten wieder über die Ufer.

Die wassergesättigten Böden, die Schneeschmelze und die Regenfälle hätten zu den grossflächigen Überschwemmungen geführt, heisst es im WSL-Bericht. Dies habe vor allem gezeigt, dass der dämpfenden Wirkung der Seen Grenzen gesetzt seien.

Die Lehre aus den Hochwassern

Nach den Überschwemmungen beauftragte der Bund das WSL, die Ereignisse zu analysieren. Die Erkenntnisse daraus und die Erfahrungen anderer Hochwasser trügen heute, zusammen mit Bundesämtern, dazu bei, Schäden mittels Vorhersagen zu begrenzen, heisst es.

Seither wurden diverse Massnahmen umgesetzt: der Aufbau von Warnung und Alarmierung bei Naturgefahren durch Bund und Kantone, der Bau des Entlastungsstollens am Thunersee und Verbesserungen bei der Seeregulierung.

«Eine weitere Erkenntnis für uns war zu sehen, wie wichtig eine gute schneehydrologische Einschätzung ist», sagt Manfred Stähli, der heutige Leiter der Forschungseinheit Gebirgshydrologie und Massenbewegungen am WSL. «Für uns war dieses Ereignis eine grosse Motivation, die Schneewassermenge systematisch über die ganze Schweiz zu berechnen.»

Wie viel Wasser steckt im Schnee?

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Seit 2009 liefert der operationelle schneehydrologische Dienst des WSL-Instituts (kurz: OSHD) regelmässige Vorhersagen – unter anderem dazu, wieviel Schnee in der Schweiz liegt und wie viel Schmelzwasser zu erwarten ist.

Das ist nicht so einfach, wie Tobias Jonas in einem Bericht des WSL erklärt. Je nach Saison und Zustand der Schneedecke variiert der Wassergehalt beträchtlich: Ein Kubikmeter Neuschnee enthält etwa 50 bis 100 Liter Wasser, die letzten Resten schmelzender Schnee dagegen bis zu 600 Liter.

Deshalb müsse der OSHD für seine Berechnungen nicht nur die Höhe und Ausbreitung, sondern auch den Zustand der Schneedecke möglichst genau kennen, so Jonas, Leiter der Forschungsgruppe Schneehydrologie des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung, das dem WSL angehört. Allerdings stehe und falle eine Schneeschmelz-Voraussage mit der Genauigkeit der Wettervorhersage.

Vorhersagen, wie viel Schmelzwasser insgesamt zu erwarten ist, wären 1999 wertvolle Informationen gewesen. Verhindert hätten sie das Hochwasser wohl nicht, sagt WSL-Forscher Tobias Jonas, da die Wetterbedingungen trotzdem eingetreten wären. «Aber man hätte vielleicht mehr Zeit gehabt, sich auf das Ereignis vorzubereiten», so Jonas.

Tagesschau, 09.05.2024, 19:30 Uhr

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