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Politologin Cloé Jans im Interview
Aus News-Clip vom 30.05.2022.
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Ukraine-Krieg und die Schweiz Politologin: «Neutralität ist seit 30 Jahren kein fixer Begriff»

Der Krieg in der Ukraine – er beschäftigt längst auch die Schweizer Politik. Mehr Geld für die Armee, der baldige Kauf eines neuen Kampfjets, Sanktionen gegen russische Oligarchen. Ein paar Stichworte, welche in der aktuellen Sommersession zur Diskussion kommen. Politikwissenschafterin Cloé Jans ordnet ein.

Cloé Jans

Cloé Jans

Politologin

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Cloé Jans ist Politikwissenschaftlerin beim Forschungsinstitut GfS in Bern, wo sie das operative Geschäft leitet. Ihre Fachgebiete sind unter anderem Gesellschafts- und Jugendforschung, das Gesundheitswesen und Meinungsbildung in der Schweiz.

SRF News: Die Schweizer Politik ist üblicherweise eher träge. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs geht plötzlich vieles sehr schnell. Warum?

Cloé Jans: Eine Krise ist immer ein Katalysator. Da kann man nicht im «courant normal» verfahren, da muss man schnell reagieren. Und beispielsweise die Kompetenzen dem Bundesrat oder einer übergeordneten Behörde übertragen. Das hat man in der Corona-Pandemie gesehen und jetzt beim Krieg in der Ukraine nochmals.

Deutschland hat gestern ein 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr beschlossen. Auch der Ständerat wird wahrscheinlich noch diese Woche zusätzliche zwei Milliarden Franken jährlich für die Schweizer Armee sprechen. Rechnen Sie damit, dass die Schweizer Sicherheitspolitik – und auch diejenige in Europa – sich nachhaltig verändern wird?

Nach 30 Jahren Frieden und Stabilität in Europa ist jetzt sicher eine neue Zeit angebrochen. Das hat auch grosse Veränderungen mit sich gebracht für die Frage der Sicherheit. Was bedeutet Sicherheit? Und was kann sie kosten? Für einen Ausbau des Armeebudgets ist es jetzt eine besonders gute Zeit. Die Bevölkerung ist da eher an Bord als früher.

Nach 30 Jahren Frieden und Stabilität in Europa ist jetzt sicher eine neue Zeit angebrochen.

Auch den Kampfjet F-35 will der Bundesrat jetzt kaufen, ohne die Initiative der GsoA abzuwarten. Hat die Linke überhaupt noch eine Chance, in der Sicherheitspolitik mitzureden?

Es ist sicher so, dass die Sicherheitspolitik im klassischen Sinn ein Thema ist, bei dem bürgerliche Parteien eher die Themenführerschaft haben als die Linken. Aber der aktuelle Krieg hat auch Anknüpfungspunkte für linke Parteien. Es geht zum Beispiel um die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und von Russland. Es geht darum: Welche Allianzen und Partnerschaften möchte man in Zukunft angehen? Da gibt es auch Möglichkeiten für die Linken, sich zu positionieren.

Die SP stellt aktuell die Jagd nach Oligarchengeldern in den Fokus. Auch darum geht es in dieser Session: Der Bundesrat soll eigenständig Sanktionen ergreifen können. Ist das die Chance für die Ratslinke, sich zu profilieren?

Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung in der Tendenz dafür ist, noch ein bisschen härtere Sanktionen gegen Russland auszusprechen. Inwiefern das dann auch im Parlament mehrheitsfähig ist, oder auch in der Zukunft ein Thema sein wird, ist noch offen.

Die SVP fordert eine sehr strikte Auslegung der Neutralität. Bundesrat Cassis hat letzte Woche am WEF von der kooperativen Neutralität gesprochen, ein neuer Begriff. Steht die Schweiz an einem Wendepunkt, was ihre Rolle und ihr Selbstverständnis betrifft?

Ich glaube, in den letzten 30 Jahren hatten wir ein Europa, welches durch Frieden und Stabilität geprägt war. Jetzt ist diese Zeit zu Ende. Man muss sich neu überlegen: Wer sind unsere Partner? Wer sind unsere Allianzen? Man sieht aber auch: Die Neutralität war auch die letzten 30 Jahre kein fixer, unveränderbarer Begriff. Man hat sich auch damals vor dem Hintergrund der aktuellen Begebenheiten angepasst. Das ist auch jetzt wieder der Fall.

Werden die aktuellen Entwicklungen auch einen Einfluss haben auf die Wahlen 2023?

Es ist immer so, dass bei den Wahlen ein grosses Thema eine wichtige Rolle spielt. Das letzte Mal war es das Klima, noch eine Wahl zuvor war es die Migration. Ich gehe davon aus, dass dieser Krieg in der Ukraine nachhallen wird bis ins nächste Jahr. Da stellen sich Fragen – wie zum Beispiel die Zusammenarbeit mit der EU. Aber auch: Was für eine Armee wollen wir haben? Wie gestalten wir die Versorgungssicherheit im Land? Daneben gibt es auch andere Anknüpfungspunkte. Die Inflation ist eine grosse Frage, die sich die Bevölkerung stellt. Aber auch die Abstimmungen im Herbst, wo es um Gesundheitsfragen und die Altersvorsorge geht.

Ich gehe davon aus, dass dieser Krieg in der Ukraine nachhallen wird bis ins nächste Jahr.

Sie haben die Zusammenarbeit mit Europa erwähnt. Heisst das, die SP liegt goldrichtig, wenn sie jetzt wieder auf einen EU-Beitritt pocht?

Das ist eine sehr schwierige Frage. In den Umfragen sehen wir, dass ein EU-Beitritt in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähig ist. Es ist aber sicher auch eine Zeit, wo man sich neue Fragen stellen muss: Wer sind unsere Partner und Allianzen? Und was ist die Rolle der Schweiz in Europa? Mit wem möchte man zusammenarbeiten? Und wie schaffen wir es, dort vielleicht eine Annäherung zu machen, die mehrheitsfähig ist in der Bevölkerung?

Zum Schluss: Welche Entwicklung in der Schweizer Politik hat Sie seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine am meisten überrascht?

Ich finde es sehr spannend, wie schnell und pointiert Politikerinnen und Politiker und auch die Parteien sich positioniert haben. Gerade auch im Gegensatz zur letzten Krise, der Corona-Pandemie. Ich habe das Gefühl, dass das vorhandene Informationsvakuum viel schneller gefüllt worden ist. Und die Leute haben sich klar positioniert. Ich bin überrascht, wie die Schweizer Politik – die, wie Sie gesagt haben, oft «behäbig» ist – manchmal an Tempo zulegen kann.

 Das Gespräch führte Larissa Rhyn.

Tagesschau 18 Uhr, 30.05.22;

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