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Umstrittene Polizei-Aktion Protokoll einer Familien-Zwangsausschaffung

Es sind aufrüttelnde Szenen in den Videos, die der «Rundschau» zugespielt wurden.

Auf den Handybildern ist unter anderem zu sehen, wie ein Kind – nur spärlich bekleidet – in einem Korridor steht, betreut von der Polizei. Im Hintergrund hört man Schreie. Ein anderes Kind windet sich in den Armen einer Polizistin. Es sind Bilder einer Familien-Zwangsausschaffung.

Augenzeugen erzählen, die Polizei habe im Zimmer, direkt neben den Kindern, den Vater gefesselt und die Mutter in Handschellen gelegt. Die Kinder hätten mitansehen müssen, wie die Polizei Fesselungswerkzeug ausgepackt habe und damit ins Zimmer der Eltern gegangen sei.

Traumatisierte Kinder?

Sophie Guignard von Solidarité sans frontières sagt, so etwas traumatisiere Kinder nachhaltig. Sie ist erschüttert von den Bildern. «Es war unerträglich zu sehen, wie diese Kinder alles miterleben mussten.» Guignard kritisiert das Vorgehen der Polizei und sagt, die Ausschaffung hätte abgebrochen werden müssen.

Polizeirechtsexperte Markus Mohler widerspricht. Er warnt davor, zu viel in solche Amateur-Videos hineinzuinterpretieren. Die Bilder allein zeigten eine normale Zwangsausschaffung. Die Polizei sei offensichtlich beauftragt gewesen, diese zu vollziehen. «Wenn man es nicht macht, dann ist der Rechtsstaat nicht mehr durchsetzbar.» Mohler sagt auch, es sei in der Verantwortung der erziehungsberechtigten Personen, die Kinder zu schützen.

«Lasst mich los, ich kann nicht atmen»

Es geht um die fünfköpfige Familie von Mehmet K. Sie hatte zuvor in einem Flüchtlingscamp in Irak gelebt. Die Familie flüchtete via Kroatien in die Schweiz. Da Mehmet K. in Kroatien bereits registriert worden war, darf ihn die Schweiz dorthin zurückschaffen. Ein Dublin-Fall.

Nach der Rückschaffung ins Ausland sagt er in einem Videocall mit der «Rundschau», die Schweizer Polizei habe ihn schlecht behandelt: «Sie sind um vier Uhr morgens in unser Zimmer gestürmt» – sie hätten ihn vor den Augen seiner Kinder auf den Boden gelegt und ihm etwas über den Kopf gestülpt. Dies, obwohl er psychisch krank sei. Er habe gesagt: «Lasst mich los, ich kann nicht atmen!» Seine Kinder hätten alles mitansehen müssen.

Bei der Ausschaffung war eine externe Beobachterin der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter dabei. Martina Caroni, Vizepräsidentin dieser Kommission, sagt nichts zum konkreten Fall. Die Kommission empfiehlt aber den Vollzugsbehörden mit Nachdruck, von solchen Fesselungen in Anwesenheit von Kindern abzusehen. «Es birgt Traumatisierungspotenzial, wenn Kinder hören oder sehen, wie Eltern oder Elternteile gefesselt werden.»

Die Kantonspolizei Zürich, welche die Ausschaffung vollzogen hat, will sich nicht zu den Vorwürfen äussern. Sie lässt lediglich so viel verlauten: Sie habe einen Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) ausgeführt. Doch auch das Staatssekretariat für Migration will nichts zum Fall sagen, teilt aber schriftlich mit: «Die weggewiesenen Personen werden darüber informiert, dass ein zwangsweiser Wegweisungsvollzug erfolgt, wenn sie die Ausreisefrist nicht einhalten.»

SRF Rundschau, 01.03.2023, 20:05 Uhr

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