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Umstrittenes Medikament Wurmkur gegen Corona: Was steckt hinter dem Hype um Ivermectin?

Die Nachfrage nach Ivermectin steigt auch in der Schweiz – und das Medikament wird teils illegal importiert. Auf eine Einnahme auf eigene Faust sollte man unbedingt verzichten.

«Ihr seid keine Pferde. Hört auf damit!», warnte die US-Arzneibehörde schon vor Monaten vor dem Medikament Ivermectin. Gleichzeitig gibt es Leute – auch Ärztinnen und Ärzte –, die das Medikament empfehlen.

Ivermectin ist ein günstiges Entwurmungsmittel. Es wird seit 30 Jahren auf der ganzen Welt eingesetzt. Sowohl bei Menschen wie auch bei Tieren. Unterdessen wird Ivermectin vor allem als Medikament gegen Corona eingesetzt.

Woher der Hype?

Angefangen hat alles mit einer australischen Studie, welche im April 2020 veröffentlicht wurde. Laborexperimente hätten gezeigt, dass Ivermectin Coronaviren in Zellen abtöte, so das Fazit der Studie.

Ärzte haben in Entwicklungsländern gute Erfahrungen damit gemacht. «In Indien berichten sie, dass die Genesungsrate stark zugenommen habe, nachdem das Mittel zur Prophylaxe und Behandlung von Covid-19 an die breite Bevölkerung verteilt worden ist. Auch aus Südamerika wurden Erfolge berichtet», sagt der SRF-Wissenschaftsredaktor Christian von Burg.

Ivermectin ist zwar günstig, aber trotzdem ist sein Einsatz gegen Covid-19 höchst umstritten. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt deshalb, Ivermectin nur im Rahmen von klinischen Studien anzuwenden. Einige Studien fanden positive Effekte, andere nicht. «Dazu kommt, dass mehrere Studien zu Ivermectin und Corona offenbar schlecht gemacht oder zum Teil wirklich falsch sind», so von Burg.

Wie erkennt man glaubwürdige und professionelle Studien?

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«Wenn man nicht vom Fach ist, erkennt man meistens nicht, wo die heiklen Punkte liegen», erklärt Christian von Burg. Einige Punkte könne man aber beachten:

  • Grösse und Dauer der Studie: Einige hundert Probanden reichen für eine klinische Studie nicht aus. Die Aussagekraft ist viel grösser, wenn eine Studie über längere Zeit mit Tausenden oder Hunderttausenden von Teilnehmenden angelegt ist.
  • Macher der Studie: Wer hat die Studie gemacht? Es ist wichtig, dass die Institutionen und Forschenden dahinter vertrauenswürdig sind.
  • Diskussionen: Oft werden die Resultate und Studien zwischen den Wissenschaftlern diskutiert und verglichen. Wenn also im Netz verschiedene Einschätzungen und Austausche auffindbar sind, zeugt das von Glaubwürdigkeit.
  • Auseinandersetzung mit dem Thema: Um ein vertieftes Bild zu erhalten, ist eine intensive Befassung mit dem Thema oft unabdingbar.

Dann kam es zu einem Hype im englischsprachigen Raum – der mittlerweile auch in der Schweiz angekommen ist. Vor allem bei Impfskeptikern. In diesen Kreisen werde das Medikament zum wahren Wundermittel hochstilisiert, sagt der Wissenschaftsredaktor. Aber: «Sogar die Herstellerfirma Merck rät davon ab, das Mittel gegen Corona zu verwenden.»

Das Entwurmungsmittel Ivermectin ist bei uns nur bei Tieren zugelassen. Trotzdem gibt es Menschen in der Schweiz, die das Medikament offenbar zur Behandlung oder Vorbeugung einer Covid-Infektion im Internet bestellen. Genügend, dass die Heilmittelbehörde Swissmedic letzte Woche eine öffentliche Warnung aussprach.

Verschiedene Ivermectin-Packungen und Pillen liegen nebeneinander
Legende: Die Zulassungsbehörden unterscheiden sich von Land zu Land. «Wo Ivermectin auch sonst eingesetzt wird, zur Entwurmung bei Menschen, sagt man sich wohl, das Medikament ist günstig und verfügbar», so von Burg. In gleicher Dosierung wie als Entwurmungsmittel könne es als nicht schaden. imago images

Viele unseriöse Anbieter nutzten die Angst vor Covid aus und würden im Internet illegale Produkte anpreisen. Die Zollstellen hätten in den letzten Wochen vermehrt Päckchen mit Ivermectin beschlagnahmt. Wer das Mittel unkontrolliert einnehme, gefährde seine Gesundheit, so Swissmedic.

Auch die Tierärztinnen und -ärzte spüren den Trend, wie Patrizia Andina von der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte sagt.

Wie wirkt Ivermectin bei Tieren?

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In der Schweiz wird Ivermectin bei Tieren vor allem gegen Würmer und Ektoparasiten eingesetzt. Ektoparasiten leben auf oder in der Haut oder auf dem Fell. «Ivermectin verursacht eine schlaffe Lähmung bei diesen Würmern, Spinnentieren und Insekten. Es stört in den Nervenzellen die Reizleitungen. Die Nervenzellen leiten dann die Reize nicht mehr weiter. So lähmt es diese Parasiten und sie sterben», erklärt Patrizia Andina. Sie ist spezialisiert auf Wiederkäuer.

In der Schweiz gibt es Tierarzneimittel mit diesem Wirkstoff unter anderem für Pferde und Esel. «Bei Säugetieren setzt man es vor allem gegen Rundwürmer und Fadenwürmer ein, aber auch gegen Hautparasiten wie Milben oder Läuse, die Blut saugen und in die Haut eindringen. Beim Schaf haben wir auch Medikamente. Da ist es vor allem wichtig, weil sie manchmal blutsaugende Magenwürmer haben.» Es wirkt nicht gegen Bandwürmer und Leberegel.

Die Wirkungen sind nicht nur bei Mensch und Tier verschieden, sondern auch unter den unterschiedlichen Tieren. Generell raten die Tierärzte, dass man nur Medikamente nutzt, die zugelassen und auf dem normalen Weg in die Schweiz gekommen sind.

Border Collie läuft auf Wiese
Legende: Einige Rassen vertragen das Medikament nicht gut. Darunter gehören collieartige Hunde. Diese Hunde haben manchmal Veränderungen im Erbgut, wonach das Ivermectin besser ins Gehirn eindringen kann. imago images

Auch die Heilmittelbehörde Swissmedic rät dringend vom illegalen Import und der Einnahme ab. Denn wo diese Arzneien genau hergestellt worden sind, kann man in den meisten Fällen nicht überprüfen, wenn man das übers Netz bestellt.

«Man weiss nicht, ob diese Medikamente allenfalls von kriminellen Lieferanten stammen, ob die Medikamente gestreckt sind oder ob sie überhaupt das gewünschte Arzneimittel enthalten», erklärt der Wissenschaftsredaktor Christian von Burg.

Man weiss nicht, ob diese Medikamente allenfalls von kriminellen Lieferanten stammen, ob die Medikamente gestreckt sind oder ob sie überhaupt das gewünschte Arzneimittel enthalten.
Autor: Christian von Burg SRF-Wissenschaftsredaktor

Zudem schreibt die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA, sei Ivermectin für Tiere anders dosiert als für die Menschen. Es kann also gefährlich sein, solche Medikamente zu schlucken. Denn wissenschaftlich ist es nicht genügend belegt, dass Ivermectin bei einer Corona-Erkrankung nützlich ist.

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SRF 4 News, 05.11.2021, 22:30 Uhr ; 

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