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Umstrittenes Urteil Strassburg urteilt erneut gegen die Schweiz

Der EGMR hat die Schweiz verurteilt, weil sie einen bosnischstämmigen Drogenkurier zu Unrecht ausgewiesen habe. Dessen Recht auf ein Familienleben sei zu wenig berücksichtigt worden. Das Urteil dürfte Wasser auf die Mühlen der Kritiker des Strassburger Gerichtshofs sein.

Der Mann wurde in Bosnien geboren, die Frau in Serbien. Später heirateten die beiden, hatten zwei Töchter und lebten in der Schweiz. Die Ehefrau und die Kinder erwarben zudem die Schweizer Staatsbürgerschaft.

Der Vater wurde 2018 verhaftet, des Kokainhandels beschuldigt, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und für fünf Jahre des Landes verwiesen. Er lebt seither in Bosnien, seine Familie im Kanton Zürich.

Mit 30 Jahren in die Schweiz gekommen

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Gebäude des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg.
Legende: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Reuters/Vincent Kessler

Der Mann war 2013 nach der Heirat im Alter von 30 Jahren in die Schweiz gekommen. Die Schweizer Gerichte vertraten die Ansicht, dass der Mann kaum Deutsch spreche und nie eine Festanstellung gehabt habe, womit er nicht als integriert gelten könne.

Zudem befanden sie, die Töchter seien noch klein und würden damit in einer neuen Umgebung gut Fuss fassen können. Die Ehefrau würde sich als ausgebildete Krankenschwester in Bosnien-Herzegowina ausserdem einfach beruflich integrieren.

Der EGMR verurteilte die Schweiz nun dazu, dem Bosnier eine Genugtuung von 10'000 Euro sowie 15'000 Euro für die aufgrund des Verfahrens angefallenen Kosten zu bezahlen. (sda)

Wegen des von allen Schweizer Gerichtsinstanzen bestätigten Landesverweises gelangten der Mann und die Frau an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dort erhielten sie nun recht mit ihrer Klage wegen Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention .

Dieser Artikel garantiert das Recht auf ein Privat- und Familienleben.

Nicht vorbestraft – aber integriert?

Laut den Strassburger Richterinnen und Richtern, darunter auch ein Schweizer, haben die hiesigen Gerichte eine ungenügende Interessenabwägung vorgenommen: Sie hätten das öffentliche Interesse an der Ausweisung eines Kriminellen höher gewichtet als dessen privates Interesse, mit seiner Familie zusammenzuleben, so der EGMR.

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Ausserdem sei nicht berücksichtigt worden, dass sich der Täter nach seiner Verurteilung wegen des Transports von 194 Gramm Kokain korrekt verhalten und eine feste Arbeitsstelle angetreten habe. Es habe auch keine Hinweise gegeben, dass er in Drogenhandel grossen Ausmasses verwickelt sei.

Die Schweizer Gerichte ihrerseits hatten die Ausweisung auch mit der mangelnden Integration des Mannes begründet.

Schwieriges Verhältnis zum EGMR

Das Urteil aus Strassburg kommt nicht überraschend. Der EGMR gewichtet das Recht auf ein Familienleben stets sehr stark und stellt hohe Hürden auf für Landesverweise. Die jüngste Entscheidung im Fall des Ehepaars dürfte das Verhältnis zwischen der Schweiz und dem obersten europäischen Menschenrechtsgerichtshof zusätzlich belasten.

Es ist jetzt schon angespannt. Vor allem die politische Rechte – bis weit in die Mitte hinein – steht dem EGMR spätestens seit dessen Urteil zugunsten der Klimaseniorinnen äusserst kritisch gegenüber. Auch der Bundesrat hat erklärt, wenn auch nicht ausdrücklich, dieses Klima-Urteil ignorieren zu wollen, weil es übergriffig sei.

Die Auseinandersetzung mit dem EGMR in Strassburg dürfte nun noch schärfer werden.

Rendez-vous, 17.9.2024, 12:30 Uhr

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