Die Aufarbeitung des Bergsturzes im Bergell vom August 2017 zeigt: Die Behörden haben deutliche Hinweise auf eine bevorstehende Katastrophe ignoriert. Der Tod von acht Menschen hätte verhindert werden können. Das berichtet heute der «Beobachter» .
Deutliche Alarmzeichen
Gestützt auf Gespräche mit Angehörigen der Toten und auf bisher nicht bekannte Dokumente zeichnet der «Beobachter» die Geschehnisse rund um den Bergsturz von Bondo im Bündner Südtal Bergell nach. Ihre Aussagen und die Akten wecken starke Zweifel am Entscheid der Behörden, das Bondesca-Tal offen zu lassen, wo beim Bergsturz acht Berggänger starben.
Messungen ergaben frühzeitig, dass es am Piz Cengalo zu grossen Gesteinsverschiebungen gekommen war. Der zuständige externe Geologe hatte deshalb schon zwei Wochen vor dem tragischen Ereignis ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Tal gesperrt werden müsse.
Zudem müsse der Berg permanent überwacht werden, schlug er in einer Mail an das Bündner Amt für Wald und Naturgefahren vor, das dem «Beobachter» vorliegt. So könne man ein grosses Ereignis «Tage bis Stunden» voraussehen. Doch das kantonale Amt kam nach einer Überprüfung vor Ort zu einer anderen Einschätzung, es verzichtete auf eine Radarüberwachung und empfahl der Gemeinde Bergell, das Tal nicht zu sperren.
Warn-Mail des Geologen
Brisant: Der Krisenstab der Gemeinde hatte im Vorfeld des Bergsturzes offenbar nicht alle Informationen auf dem Tisch. Die damalige Gemeindepräsidentin und heutige FDP-Nationalrätin Anna Giacometti erklärte gegenüber der Staatsanwaltschaft schriftlich, sie habe erst ein halbes Jahr später vom fraglichen Warn-Mail des Geologen erfahren.
Die Recherchen werfen auch Fragen zum Vorgehen der Bündner Justiz auf, 2019 hatte die Bündner Staatsanwaltschaft die Untersuchung über die Umstände des Bergsturzes nach zwei Jahren eingestellt. Begründung: Das Ereignis sei nicht vorhersehbar gewesen. Diesen Februar kassierte das Bundesgericht die Einstellungsverfügung jedoch und verlangte «eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Ausstandsproblematik».
Die Staatsanwaltschaft hatte sich bei ihrem Entscheid vor allem auf einen Bericht des Amts für Wald und Naturgefahren gestützt. Dort wirkten gemäss Bundesgericht mehrere Personen mit, «die als Beschuldigte im vorliegenden Verfahren in Frage kommen». Gegenüber dem «Beobachter» sagte Strafrechtsprofessor Felix Bommer von der Universität Zürich: «Jetzt müssen Experten ausserhalb der Verwaltung zu Wort kommen.»