Das Bundesgericht hat einen wegweisenden Entscheid gefällt: Universitäten müssen reine Männerverbindungen, die bewusst keine Frauen aufnehmen, künftig nicht mehr anerkennen. Konkret geht es bei dem Entscheid um die Studentenverbindung Zofingia. Weil sie weiterhin nur Männer zulässt, gibt es keine Privilegien an der Uni Lausanne und an der EPFL mehr. Lynn Blattmann ist Historikerin und befasst sich seit langem mit der Geschichte der Schweizer Studentenverbindungen. Sie ordnet den Entscheid ein.
SRF News: Können Sie den Entscheid des Bundesgerichts nachvollziehen?
Lynn Blattmann: Wie das Gericht seinen Entscheid begründet, weiss ich noch nicht. Aber wir haben seit 1971 einen sehr demokratischen Staat und einen Konkordanzstaat. Da sind Frauen voll mitgemeint. Die Zofingia gibt es seit 1819. Sie hat bis heute keine Anstalten gemacht, Frauen aufzunehmen und ihre männerbündischen Formen etwas zu modernisieren.
Es wird symbolisch aufgezeigt: Jetzt ist Zeit, etwas zu verändern.
Was heisst es konkret für eine Studentenverbindung, wenn sie ihre universitären Privilegien verliert?
Die Zofingia wird nicht sterben, wenn sie keine E-Mail-Adresse der Universität mehr erhält. Oder wenn sie nicht mehr vergünstigt oder gratis Räume an der Universität reservieren kann. Es geht um mehr. Sie sind nicht mehr voll akkreditiert als studentische Organisationen, weil sie nicht alle Studierenden vertreten. Es wird symbolisch aufgezeigt: Jetzt ist Zeit, etwas zu verändern oder sich auf die rein traditionelle Rolle von alten Verbindungen zurückzuziehen. Doch das hat nichts mehr mit einer modernen Studentenpolitik zu tun.
Was verstehen Sie unter der traditionellen Rolle?
Die eigentliche Rolle der Verbindung war, den Männern so quasi eine Nacherziehung zu geben. Politisch haben sie sich nur für Männer in der Politik eingesetzt. Das kann man machen, verboten ist dies in der Schweiz nach wie vor nicht. Aber es passt nicht zu einer modernen Institution wie der Universität, die die Gleichberechtigung in der Satzung hat und staatlich und von öffentlichen Geldern bezahlt wird.
Gerade die Zofingia hat immer dazu beigetragen, dass auch uneinige politische Positionen im gleichen Boot sitzen konnten.
Wie bedeutend sind Studentenverbindungen in der Schweiz noch?
Sie werden oft massiv überschätzt. Die Zofingia hat etwa 3000 Mitglieder. Die katholischen Studentenverbindungen ungefähr 6000. Studentenverbindungen waren lange Zeit Eliteorganisationen. Aber man muss ehrlich sein: Seit längerer Zeit sind sie das nicht mehr. Es gibt noch Regierungsräte und es gibt noch drei amtierende Bundesräte, inklusive des neuesten, die Mitglieder einer Studentenverbindung waren. Studentenverbindungen sind nicht Verbindungen von Studenten, sondern das sind lebenslängliche Organisationen. Und deswegen wird ihnen oft unterstellt, sie seien in erster Linie Seilschaften.
Ich glaube nicht, dass sie reformierbar sind. Aber ich lasse mich gerne positiv überraschen.
Was ist das Positive an solchen Studentenverbindungen?
Die Verbindungen haben viel dazu beigetragen, dass wir gelernt haben, mit anderen politischen Meinungen umzugehen. Nicht, dass es früher keine pointierten Meinungen gab. Aber die Studentenverbindungen – gerade die Zofingia – haben immer dazu beigetragen, dass auch uneinige politische Positionen im gleichen Boot sitzen konnten. Das war eine gute Sache. Bis das Frauenstimmrecht kam. Dann wurde es einseitig. Dann hätte man die Formen modernisieren und Frauen einbinden müssen. Diese Denkbarriere ist das Problem der Studentenverbindungen. Ich glaube nicht, dass sie reformierbar sind. Aber ich lasse mich gerne positiv überraschen.
Das Gespräch führte Silvan Zemp.