Man kennt «Schindlers Liste», die wahre Geschichte über den geläuterten Nationalsozialisten Oscar Schindler, der im Zweiten Weltkrieg 1200 Juden vor den Vernichtungslagern bewahrte. Praktisch gänzlich unbekannt ist dagegen die «Lados-Liste».
Erst vor wenigen Jahren kam ans Licht, dass die polnische Botschaft an der Elfenstrasse in Bern Schaltzentrale einer klandestinen Operation war, die mindestens 859 Jüdinnen und Juden das Leben rettete.
Gefälschte «echte» Passdokumente
«Ich hätte gern einen Pass für Uruguay, einen für Costa Rica, einen für Paraguay, damit ich in Warschau in Frieden leben kann, denn hier fühlt man sich am schönsten frei» dichtete Wladyslaw Szlengel einst. Ein Lied, das im Warschauer Ghetto gesungen wurde. Viele Verfolgte träumten damals von einem Pass eines lateinamerikanischen Landes, von einem Stück Papier, das alles ändern konnte.
Es gab solche Pässe tatsächlich. Es waren polnische Gesandte unter Botschafter Aleksander Lados in der Schweiz, die sich ab 1940 mit Vertretern jüdischer Organisationen verbündeten. Vier Jahre lang wurden Namenslisten und Fotos aus den von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten geschmuggelt.
Die Blanko-Pässe lieferte der Berner Notar und Honorarkonsul für Paraguay, Rudolf Hügli. Heimlich liess er die Papiere nachdrucken und beglaubigte die gefälschten Identitäten. Nicht uneigennützig, verlangte er doch pro Pass zwischen 500 und 2000 Franken. Insgesamt wurden zwischen 8000 und 10‘000 Passdokumente von den polnischen Diplomaten gefälscht. Schätzungen zufolge hat die Lados-Gruppe zur Rettung von 2000 bis 3000 Menschen beigetragen.
Bürokratie als Rettung
Dass die «Passangelegenheiten» der polnischen Diplomaten die Vernichtungsmaschinerie der Nazis in vielen Fällen aufhalten konnte, erklärte sich der britische Historiker Roger Moorhouse heute durch die deutsche Bürokratie-Verliebtheit: «Alle Holocaust-Opfer waren von den Deutschen bürokratisch ja zu Un-Personen gemacht worden, zu Bürgern von nirgendwo. Durch diese Pässe aber waren die Juden wieder Staatsangehörige, um die sich irgendwo irgendjemand sorgte. Damit wurden sie oft aus Vernichtungs- und Arbeitslager überführt.»
Es war eine Rettungsaktion, die nach dem Krieg aber komplett in Vergessenheit geriet. Nach der Machtübernahme der Kommunisten in Polen 1946 interessierte sich niemand für die Archive der Londoner Exilregierung. Und die Fälscher blieben im Exil, manche starben heimat- und mittellos.
Vergessene Geschichte
Es war 2016, an einem Empfang in der Residenz des damaligen polnischen Botschafters Jakub Kumoch, als der Diplomat von einem alten jüdischen Mann darauf hingewiesen wurde, dass dieses Haus für Juden ein «heiliger Ort» sei. Kumoch hatte keine Ahnung warum und begann Fragen zu stellen.
Das in Warschau ansässige Pilecki-Institut durchforstete darauf zwei Jahre lang Archive, spürte Geschichten und Schicksalen nach. Heute stehen über 3200 Namen auf der sogenannten «Lados-Liste». Den Forschungsergebnissen zufolge haben zwischen 26 und 46 Prozent der Passinhaber den Holocaust überlebt.
Mit der Ausstellung «Reisepässe des Lebens» ehrt derzeit das Berliner Pilecki-Institut die Gruppe polnischer Diplomaten um Aleksander Lados. Pariser Platz 4A, Berlin.