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Vergewaltigungsurteil in Basel Strafrechtsprofessorin verteidigt Strafmass und kritisiert Demo

Drei Jahre Gefängnis sei üblich bei einer Vergewaltigung. Und auch, dass das Verhalten des Opfers miteinbezogen wird.

Im Februar 2020 kam es in einem Basler Arbeiterquartier zu einer Vergewaltigung. Ein 32-Jähriger verging sich zusammen mit seinem 17-jährigen Kollegen an einer Frau – dies nach durchzechter Nacht. Der Fall sorgte für grosse Schlagzeilen, auch weil der 32-Jährige zuerst nach Portugal floh und sich später den Behörden stellte.

Im erstinstanzlichen Urteil wurde der Mann zu Viereinviertel Jahren Haft verurteilt. Doch das Basler Appellationsgericht senkte das Strafmass vergangene Woche auf drei Jahre. Das Opfer habe in der Tatnacht «mit dem Feuer» gespielt, das sei strafmildernd. Zudem kommt der Täter in diesen Tagen frei, weil ihm die Untersuchungshaft angerechnet wird, und er nur die Hälfte der dreijährigen Strafe absitzen muss.

Aufschrei in den sozialen Medien

Vor allem in den sozialen Medien, aber auch im linken politischen Spektrum sorgte das tiefere Strafmass für grosse Aufregung. Viele konnten nicht verstehen, dass das Verhalten der Frau in der Tatnacht mitverantwortlich für die Strafreduktion war.

Gegenüber dem «Regionaljournal Basel» von SRF verteidigt die renommierte Strafrechtsdozentin Marianne Heer nun aber die Argumentation des Basler Appellationsgerichts. «Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass das Verhalten des Opfers vor dem Sexualdelikt strafmildernd sein kann.» Ein tiefer Ausschnitt oder das Tragen eines Minirocks reiche nicht aus, aber wenn sich ein Vergewaltigungsopfer zuvor «provozierend» verhalten habe, dann werde das bei der Berechnung des Strafmasses mitberücksichtigt. Das Appellationsgericht sei offenbar zu diesem Schluss gekommen.

Marianne Heer

ehemalige Luzerner Kantonsrichterin

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Marianne Heer wurde 1955 in Willisau geboren. 1984 begann sie als Gerichtsschreiberin in Luzern und wurde ein Jahr darauf Richterin am Amtsgericht Luzern-Land. Von 1991 bis 2000 war sie als Staatsanwältin tätig und wechselte dann ans Obergericht, dem heutigen Kantonsgericht, wo sie Ende Mai 2021 pensioniert wurde. Heer ist zudem Lehrbeauftragte an den Universitäten Bern und Freiburg.

Keine Kritik übt Heer auch am neuen Strafmass von drei Jahren. «Das ist das in der Schweiz übliche Strafmass bei Ersttätern bei Vergewaltigung.» Und dass dem Täter die Hälfte der Strafe erlassen wurde, sehe das Gesetz bei Ersttätern ohne Rückfallgefahr ebenfalls vor.

Kritik an angekündigter Demo

Linke und Frauenorganisationen rufen für diesen Sonntag zu einer Demonstration gegen das Urteil auf. Marianne Heer sagt dazu, eine Demonstration sei ein demokratisches Grundrecht. Aber sie gibt auch zu Bedenken, dass dies «grossen Druck auf die Richterinnen und Richter ausübt» und diese bei künftigen Urteilen vermehrt auf die öffentliche Reaktion blicken könnten, statt dem Gesetz zu folgen.

Appellationsgericht meldet sich ebenfalls zu Wort

Aufgrund der anhaltenden öffentlichen Diskussion hat sich auch das Basler Appellationsgericht am Donnerstag mit einer Medienmitteilung zu Wort gemeldet. Es begründet seinen ungewöhnlichen Schritt damit, dass es in der Öffentlichkeit grosse «Missverständnisse» gebe. So betont es, dass entgegen der medialen Berichterstattung nicht eine freisinnige Richterin das Strafmass reduziert habe, sondern ein Dreier-Richtergremium. Zudem habe es den Tatbestand der Vergewaltigung vollumfänglich bestätigt. Es sei bei der Strafmilderung nicht darum gegangen, das Opfer zu disqualifizieren, sondern die gesamten Tatumstände bei der Berechnung des Strafmasses zu berücksichtigen.

Regionaljournal Basel, 5.8.2021, 17:30 ; 

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