Pucks peitschen an die Banden. Stöcke knallen. Kufen kratzen. Dazwischen immer wieder Pfiffe. Ein normales Eishockey-Training von Jugendlichen in Weinfelden? Nicht ganz. Der Coach gibt seine Anweisungen auf Englisch, illustriert sie gleichzeitig auf einer Tafel, zeigt mehr als üblich selber vor. Denn auf dem Feld stehen unter anderem ukrainische Nachwuchssportler. Nicht nur Leistungsunterschiede gilt es hier zu nivellieren – auch Sprachbarrieren müssen überwunden werden.
Innerhalb von 36 Stunden haben wir ein Schulhaus geräumt, um Schlafplätze zu schaffen.
Ein Blick zurück: Vor rund sechs Wochen, kurz nach 22 Uhr, trifft ein Bus mit über 40 ukrainischen Kindern, Jugendlichen und deren Müttern in Kreuzlingen ein. Hinter ihnen liegt eine mehrtägige Reise von der slowakisch-ukrainischen Grenze über Budapest an den Bodensee.
Hier, auf dem Talent-Campus einer bilingualen Privatschule an der Kreuzlinger Grenze zu Konstanz, werden sie fürs Erste untergebracht. Matratzen, Lattenroste und Bettwäsche hat der Campus in Windeseile aufgetrieben. «Innerhalb von 36 Stunden haben wir ein Schulhaus geräumt, um Schlafplätze zu schaffen», sagt Gesamtleiter André Salamin.
Ukrainischer Lehrplan gibt Takt vor
Mittlerweile ist aus dem Not- ein Regelbetrieb geworden. Die meisten Geflüchteten leben nun in Wohnungen, trainieren regelmässig auf dem Eis. Jetzt wird auch wieder gepaukt. Der ukrainische Lehrplan gibt den Takt vor, auf der Schweizer Stundentafel stehen vor allem Deutsch und Englisch. Eine Übersetzerin hilft. Das Fazit von Nikita Kazantsev (16) nach Schultag 1: «Meine Kollegen und ich schätzen es sehr, hier zu sein. Das ist wirklich cool.»
Kazantsev, einer der wenigen Jugendlichen mit Englisch-Kenntnissen, ist aus besetztem Gebiet geflüchtet. «Mein Nachbar und sein jüngerer Sohn wurden durch Russen getötet.» Ein harter Schlag für ihn und seine Familie. «Meine Grosseltern und mein Vater sind noch immer in der Ukraine. Meine Mutter, mein jüngerer Bruder und ich sind in Sicherheit.»
Ohne Begleitung in die Schweiz gekommen ist derweil Artur Peresypkin (17). Täglich wird telefoniert. «Meine Eltern und Hockeyfreunde fehlen mir am meisten.» Aber er fühle sich wohl bei seiner Gastmutter, die ihn und einen Kollegen aufgenommen habe. «Sie ist sehr nett.»
Dass Artur Peresypkin und Nikita Kazantsev sowie 21 weitere Nachwuchsspieler ausgerechnet im Thurgau gelandet sind, ist kein Zufall. Swiss Ice Hockey hatte eine entsprechende Anfrage des ukrainischen Hockeyverbands. Und der Talent-Campus bot Hand – nicht zuletzt aufgrund des Flüchtlingsprojekts «Coubertin meets Dunant». Swiss Olympic führte die beiden Parteien zusammen.
Wie lange die Kinder und Jugendlichen in der Schweiz bleiben, ist ungewiss. «Wir passen derzeit die Reglemente intern so an, dass wir sie auch nächste Saison in den Spielbetrieb integrieren können», sagt Patrick Bloch, Geschäftsführer des Schweizer Eishockeyverbands.
Ob die ukrainischen Gäste bei Saisonstart im August in bestehende Mannschaften integriert werden oder ob es ein separates Team geben wird, sei noch offen.
Artur Peresypkin und Nikita Kazantsev wären auch längerfristig einem Leben fern der Heimat nicht abgeneigt. Saubere Luft, schöne Berge, hilfsbereite Menschen – die ersten Eindrücke bringen Kazantsev ins Schwärmen. «Ich könnte mir vorstellen, auch in Zukunft hier Hockey zu spielen und in der Schweiz zu studieren.»
Peresypkin pflichtet bei. Hockey sei sein Leben, er setze alles daran, seinem grossen Traum ein Stück näherzukommen. «Ein Platz in der nordamerikanischen Eishockey-Profiliga NHL.»