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Verschiebungen in Bern Ein Kanton macht noch keinen nationalen Trend

Geschicktes Positionieren, lautes Poltern oder Mobilisierung von Städtern: Gehen diese Rezepte auch bei anderen Wahlen auf?

Wichtiger Stimmungstest: Im Grossen Rat, dem Parlament des Kantons Bern, kommt es nach den gestrigen Wahlen zu Verschiebungen. Grosse Siegerin ist die SP mit fünf Sitzgewinnen. Zweitplatzierte ist die FDP mit drei zusätzlichen Sitzen. Verloren hat die SVP mit minus drei Sitzen, sie bleibt aber die stärkste Kraft vor den Sozialdemokraten. Bemerkenswert ist, dass die BDP, die sich vor zehn Jahren von der SVP abspaltete, diesmal nur einen Sitz verloren hat.

Beatrice Simon
Legende: Mit 126'207 am meisten Stimmen holte die bisherige BDP-Regierungsrätin Beatrice Simon. Keystone

Erleichterung bei der BDP: Die Partei von alt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat nicht mehr so deutlich Federn gelassen wie 2014. Damals hatte sie noch fast die Hälfte ihrer Sitze abgeben müssen. Ihre Regierungsrätin Beatrice Simon hat sogar das beste Ergebnis von allen Kandidaten erzielt.

Aber: «Jubelstimmung wird in der BDP-Zentrale auch nicht ausgebrochen sein», vermutet Politologe Georg Lutz. Denn die BDP hat noch einmal zwei Prozentpunkte Wähleranteil verloren. Sie ist jetzt noch fünftstärkste, nicht mehr drittstärkste Partei im Kanton Bern. Von einer Trendwende könne man deshalb sicher nicht sprechen, so Lutz. Zudem wird im Juni noch in den anderen zwei Hochburgen der BDP, in Glarus und Graubünden, gewählt.

Das Grundproblem ist, dass die BDP in vielen anderen Kantonen nur eine marginale Rolle spielt.
Autor: Georg Lutz Politologe

Sollte die BDP dort einbrechen, stelle sich die Frage der nationalen Perspektive. «Das Grundproblem ist, dass die Partei in vielen anderen Kantonen nur eine marginale Rolle spielt», erklärt der Politologe. «Sie hat in den letzten Jahren überall Anteile verloren. Ohne diese nationale Perspektive aufbauen zu können, wird sie langfristig ein Problem haben.»

 Evi Allemann und Christoph Ammann
Legende: Gewählt und wiedergewählt: Stadtbernerin Evi Allemann und Christoph Ammann von der SP. Keystone

Günstige Entwicklung für die SP: Die Sozialdemokraten haben speziell in der Stadt Bern und in der Agglomeration deutlich zugelegt. Das sei langfristig gut für sie, so Lutz. «Denn die Schweiz wird immer urbaner, die städtischen Zentren werden wichtiger.» Wenn die SP dort stabil bleibe oder sogar stärker werde, könne sie davon profitieren. Aber Lutz warnt: Nach einer einzigen kantonalen Wahl könne man noch nicht von einem nationalen Trend sprechen.

Philippe Müller
Legende: Füllt die bürgerliche Lücke: Philippe Müller ersetzt Hans-Jürg Käser auf dem FDP-Sitz. Keystone

Geschickt agierende FDP: Die FDP ist aus den letzten kantonalen Wahlen oft als Siegerin hervorgegangen. «Die Partei hat die Trendwende geschafft», bilanziert Lutz. Auf nationaler Ebene war es für sie während der letzten 20 Jahre fast dauernd abwärts gegangen. «Die FDP profitiert davon, dass sie eine gute Nische im bürgerlichen Lager gefunden hat – nicht als Juniorpartnerin der SVP.» Sie agiere geschickt. «Ihr kommt zugute, dass die Mittepartei GLP eher stagniert und die BDP eher verliert. Das gibt Platz für eine weitere bürgerliche Kraft, und das ist häufig die FDP.»

Georg Lutz

Professor für Politologie

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Der Politologe Georg Lutz ist Professor an der Universität Lausanne. Davor war er Projektleiter der Schweizer Wahlstudie «Selects» am Forschungszentrum Sozialwissenschaften FORS in Lausanne.

Ungewohnte Situation für die SVP: 3 von 49 Sitzen hat die Volkspartei in Bern verloren. Das ist ein kleiner Verlust auf hohem Niveau, aber eben doch ein Verlust. Hat sie ihren Zenit überschritten? «Ich denke nicht, die Partei ist die stärkste im Kanton Bern, auch die stärkste in der ganzen Schweiz», sagt Lutz. Aber die SVP könne sich nur dann halten oder zulegen, wenn sie extrem gut mobilisiere. Darauf sei sie angewiesen: «Wenn ihr das nicht gelingt, wie im Fall Bern, dann kann es eben den einen oder anderen Sitzverlust bedeuten.»

Wahlplakat
Legende: Mit dem bürgerlichen Viererticket schaffte SVP-Mann Pierre Alain Schnegg (l.) die Wiederwahl. Keystone

Aber das Grundproblem der SVP sei ein strukturelles, erklärt der Politologe: «Sie muss mit lauten Tönen versuchen, die rechte Wählerschaft zu mobilisieren.» Damit erschrecke sie moderate Mittewählerinnen und -wähler. Doch wenn sie anders vorgehen würde, ginge ihre Mobilisierungskraft verloren – «und das bei einem Potenzial, das für die Partei insgesamt stagniert».

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