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Vier Jahre Arbeit «Ein einengendes Milieu»: Die Geschichte der Zuger Heime

Der Kanton Zug hat die Geschichte der sozialen Fürsorge aufgearbeitet. Sie ist geprägt von viel Leid – aber nicht nur.

Margaretha Speich war 15 Jahre alt, als sie nach Zug in die Haushaltungsschule «Santa Maria» geschickt wurde. Ihr Vormund hatte dies so entschieden. Speich wurde bereits als Kind ihrer alleinerziehenden Mutter weggenommen und bei einer Pflegefamilie und in einem Heim untergebracht. Nun sollte sie, Anfang der 1960er-Jahre, zu einer tüchtigen Hausfrau ausgebildet werden.

Haushaltungsschule Santa Maria, schwarz-weiss Bild
Legende: Die Haushaltungsschule «Santa Maria» in Zug am See. Nebst den Schülerinnen beherbergte sie auch «alleinstehende Damen». Undatierte Aufnahme. Archiv der Liebfrauenschwestern, Zug

Geführt von Nonnen, herrschte im sogenannten «Marienheim» ein strenges Regime. Gearbeitet wurde sieben Tage die Woche und Vergehen wurden bestraft. Die heute 74-Jährige erinnert sich: «Als körperliche Strafe wurde an den Haaren gerissen, ansonsten gab es vor allem psychische Strafen.» Es blieb ihr beispielsweise verwehrt, Besuch von der Mutter zu empfangen.

«Leid und Unrecht anerkennen»

Geschichten wie jene von Margaretha Speich veranlassten den Kanton Zug dazu, die eigene Heimgeschichte aufzuarbeiten. Am Donnerstag konnte die Regierung den über 500 Seiten langen Bericht dazu präsentieren. Er analysiert das Fürsorgewesen von 1850 bis 1981.

Buben beim Holzen.
Legende: Viele Heimkinder mussten auch körperliche Arbeit verrichten. Buben des Kinderheims «Marianum» in Menzingen beim Holzen. Staatsarchiv Kanton Zug

Nachdem der Bund im Jahr 2014 die Geschichte der administrativen Versorgung aufzuarbeiten begann, sei auch für den Kanton Zug klar gewesen, dass man sich dieser Thematik stellen wolle, sagt Regierungsrat Andreas Hostettler. «Es ist eine Möglichkeit, das Leid und Unrecht anzuerkennen und daran Anteil zu nehmen.» Nun könne sich die Bevölkerung auch mit diesem Kapitel der Zuger Geschichte auseinandersetzen.

Katholische Prägung

Vier Jahre durchforstete ein Forschungsteam rund um den Historiker Thomas Meier die Archive und sprach mit Betroffenen. Was auffalle: Im Vergleich zu anderen Kantonen sei das Zuger Personal sehr viel stärker katholisch geprägt gewesen. «Das war ein einengendes Milieu, wie man sich dies heute nur noch schwer vorstellen kann», sagt Meier.

Betende Kinder
Legende: Das Zuger Heimwesen war stark katholisch geprägt. Betende Kinder in der Hauskapelle des «Marianums» in Menzingen. Um 1960. Staatsarchiv Kanton zug

Auch die Haushaltungsschule «Santa Maria», wo Margaretha Speich untergebracht war, wurde streng katholisch geführt. Gebetet worden sei vor jeder Mahlzeit, so die ehemalige Heimschülerin. «Während den Messen fielen auch immer mal wieder junge Frauen in Ohnmacht, weil es so lange dauerte und so intensiv nach Weihrauch roch.»

Margarethe Speich
Legende: Margarethe Speich hat sich erst in späteren Jahren intensiv mit ihrer Kindheit befasst und Nachforschungen angestellt. Sie begrüsst den Bericht des Kantons Zug. SRF

Der Bericht räumt den Erinnerungen der Betroffenen viel Platz ein, ganze 18 Biografien werden zu Beginn vorgestellt. Man liest von einem Mädchen, das als uneheliches Kind zur Welt kam und im Heim für diese «Sünde» ihrer Mutter büssen musste oder von einem Knaben, der zur Strafe jeweils in den staubigen Kohlekeller gesperrt wurde.

Überforderte Erzieherinnen

Die Historikerinnen und Historiker geben aber auch jenen Betroffenen eine Stimme, die gute Erinnerungen an ihre Heimzeit haben. Zudem kommen Erzieherinnen und Erzieher zu Wort. Ihre Situation sei auch keine einfache gewesen, so Thomas Meier. Sie seien oft überfordert gewesen. «Sie konnten sich kaum auf ihre Aufgaben vorbereiten, hatten überlange Arbeitszeiten, wenig bis gar keine Freizeit und wurden schlecht bezahlt.»

Männer in einem ummaurten Hof
Legende: Der Bericht befasst sich nicht nur mit Kinderheimen, sondern auch mit solchen für Erwachsene. Patienten im ummauerten Hof des Franziskusheims, einer psychiatrischen Anstalt. Um 1909 Provinzarchiv Schweizer Kapuziner, Luzern

Der zusätzliche Fokus auf die Betreuerinnen und Betreuer solle keine Entschuldigung für das Leid der Betroffenen sein, will Meier klarstellen. «Er soll den Kontext der Fürsorge aufzeigen.» Der Kanton selbst sieht den Bericht als Abschluss dieses Kapitels der Zuger Geschichte. Eine offizielle Entschuldigung ist nicht geplant, doch durch Führungen und Ausstellungen soll die breite Bevölkerung davon erfahren.

Der Bericht zum Download

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Der Forschungsbericht zum Zuger Fürsorgewesen umfasst die Jahre 1850 bis 1981 und wurde von der Beratungsstelle für Landesgeschichte unter der Leitung von Thomas Meier realisiert. Man habe die soziale Fürsorge in ihrer ganzen Komplexität abbilden wollen, so der Historiker. Der Bericht kann hier gratis heruntergeladen werden.

SRF 1, Regionaljournal Zentralschweiz, 17.11.2022, 17:30 Uhr ; 

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