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Vitamin-Boom Umstrittene Labortests belasten Prämienzahlende

Die Kosten für Analysen in privaten Labors steigen massiv. Kostentreiber sind ausgerechnet umstrittene Vitamin-Tests.

Die Laborkosten sind ein Dauerthema, wenn es um Gesundheitskosten geht. 2022 hat der damalige Gesundheitsminister Alain Berset den Sparstift angesetzt: zehn Prozent Tarifkürzung. Die Massnahme wirkte.

Doch jetzt zeigen neue Zahlen des Krankenkassenverbands Santésuisse, die der «Rundschau» vorliegen, dass die Auftragslabore den Tarifschnitt rasch wettgemacht haben. Im ersten Halbjahr 2024 berappten die Krankenkassen sogar noch mehr Leistungen als vor dem Tarifschnitt.  

Umstrittene Vitamin-Analysen

Nicolas Vuilleumier, Präsident des Laborverbands FAMH, widerspricht den Zahlen von Santésuisse: «Wir haben es hier mit Zahlen zu tun, die nur aus der Hälfte des Jahres stammen. Wir wissen, dass wir im Laufe des Jahres erhebliche Schwankungen haben können.» 

Besonders auffällig sind die Kosten für Vitamin-Tests, die über die obligatorische Krankenversicherung (OKP) abgerechnet werden. Die drei umsatzstärksten Analysen, die in Auftragslaboren, die im Auftrag von Ärzten und Spitälern arbeiten, gemacht wurden, sind Vitamin-Tests. Diese kosteten die Prämienzahlenden in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres gemäss Santésuisse fast 62 Millionen Franken.

«In keiner Studie hat sich gezeigt, dass die Einnahme von Vitaminen positive Auswirkungen hätte», sagt Thomas Rosemann, Direktor des Instituts für Hausarztmedizin an der Universität Zürich. Etwa 99 Prozent dieser Analysen seien daher überflüssig und generierten nur Kosten.  

Sind Hausärzte schuld?

Nicolas Vuilleumier nimmt die Laboratorien aus der Schusslinie. Laboratorien hätten keinen Einfluss auf das Auftragsvolumen, gibt Vuilleumier zu bedenken und gibt den Ball weiter an die Ärztinnen und Ärzte: Nur sie dürften Analysen zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung verordnen.

Phillippe Luchsinger führte bis letzten Juli während 36 Jahren eine Hausarztpraxis und ist Vorstandmitglied des Verbands Haus- und Kinderärzte Schweiz. «Ich würde nicht von 99 Prozent überflüssigen Tests sprechen sondern eher von 70, 80 Prozent», sagt Luchsinger. «Aber klar, auch das ist sicher noch zu viel.» 

Arzt will auf Prävention setzen 

Arzt Andrea Vincenzo Braga verteidigt die Vitamin-Tests. Die Erfahrung zeige, dass eine Supplementierung mit Vitaminen das Wohlbefinden steigere. «Wir haben alle ein Manko an Vitaminen», sagt Braga gegenüber der «Rundschau».  

Wenn jemand mit Symptomen wie Müdigkeit oder Abgeschlagenheit in seine Praxis komme, verordne er einen Test auf Vitaminmangel. Das sei Prävention. In der Medizin müsse man ganzheitlicher denken und nicht warten, bis man krank werde.

Hausarzt und Verbandsvorstandsmitglied Luchsinger sieht seine Berufskolleginnen und -kollegen in der Verantwortung. «Ich hoffe, dass sie sich trauen, ‹Nein› zu sagen, wenn eine Patientin oder ein Patient mit einem Wunsch kommen, der medizinisch überhaupt nicht indiziert ist.» 

Politik fordert weitere Tarifsenkungen

Box aufklappen Box zuklappen

Angesichts der Entwicklung steigender Analysekosten in Auftragslaboren wächst der politische Druck auf das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) und das zuständige Bundesamt für Gesundheit (BAG). Der Preisüberwacher sowie politische Akteure fordern eine eingehende Überprüfung der Laboranalysen.

Auf Anfrage teilt das Bundesamt für Gesundheit mit, dass die Kostenentwicklung in den Laboratorien «sehr genau» verfolgt würden. Die Kostensteigerung sei vermutlich auf eine Mengenausweitung zurückzuführen. Ärztinnen und Ärzte seien in einem Rundschreiben darauf hingewiesen worden, dass Vitamintests, etwa der Test für Vitamin B12, zu präventiven Zwecken nicht von der Grundversicherung bezahlt würde. Aktuell laufe zudem eine umfassende Revision der Analyseliste. Weitere lineare Kürzungen seien nicht vorgesehen.  

Rundschau, 11.09.2024, 20:10 Uhr

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