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Volksinitiativen abgelehnt Der Nationalrat unterschätzt die Pestizid-Initiativen

Es war eine Marathon-Debatte über die beiden Pestizid-Initiativen, die voraussichtlich im nächsten Frühling zur Abstimmung kommen. Und eigentlich herrschte eine seltene Einigkeit: Alle Parteien wollen das kostbare Trinkwasser schützen. Und alle, auch die linken Parteien, halten die beiden Initiativen für zu radikal oder zumindest nicht optimal formuliert. Eigentlich die besten Voraussetzungen für einen Gegenvorschlag. Das dieser trotzdem ausgebremst wurde, hat mit dem Selbstverständnis der Bauern- und Wirtschaftsvertreter im Parlament zu tun: In den letzten 10 Jahren bodigten sie praktisch alle Umweltanliegen an der Urne, ausser die Zweitwohnungs-Initiative.

Lobbying der Bauern

Die eine Initiative will das Trinkwasser besser vor Verunreinigungen schützen und den Bauern nur noch Direktzahlungen gewähren, wenn sie auf Pestizide verzichten und den Antibiotikaeinsatz reduzieren. Die andere will ein Verbot von synthetischen Spritzmitteln, auch beim Import und der Herstellung von Lebensmitteln.

Viel zu radikal für den einflussreichen Bauernverbandspräsidenten Markus Ritter, der in den vergangenen Tagen und Wochen erfolgreich Druck auf seine CVP ausübte. Und in der FDP konnte Ritter auf seinen Mitstreiter Jacques Bourgeois zählen, Direktor des Bauernverbands.

FDP-Parteileitung desavouiert

Am Schluss votierte mehr als die Hälfte der Freisinnigen gegen den Gegenvorschlag und desavouierte so die FDP-Parteileitung. Diese wollte sich im Sinne der neuen FDP-Umweltpolitik mit den Grünen und der SP für einen Vorschlag stark machen, der einen Pestizid-Aktionsplan des Bundes für rechtlich verbindlich erklären wollte.

Die freisinnige Basis will mehr verbindliche Umweltziele, brachte die FDP-Umfrage zutage. Genau das wollte auch der indirekte Gegenvorschlag zu den beiden Pestizid-Initiativen. Aber auch die CVP muss sich die kritische Frage gefallen lassen, wieso sie zum grössten Teil dem Bauernverbandspräsidenten folgt, obwohl auch die Mittepartei stets betont, sich für Umweltanliegen besonders stark zu machen.

Bumerang-Effekt?

Nun wird sich der Ständerat mit einem Gegenvorschlag befassen müssen. Bauernverbandspräsident Markus Ritter hat noch nie verloren. Er fühlt sich auch dieses Mal wieder siegessicher und ist überzeugt, dass er einen Gegenvorschlag auch in der kleinen Kammer verhindern kann.

Doch die beiden Volksinitiativen ohne Gegenvorschlag an die Urne zu bringen, ist eine riskante Strategie. Grüne, SP und Grünliberale haben angekündigt, in diesem Fall zumindest die Trinkwasser-Initiative zu unterstützen. Diese wird von den linken Parteien und der GLP als durchaus mehrheitsfähig eingestuft, weil sie den Bauern den Pestizideinsatz nicht ganz verbieten, aber die Direktzahlungen entziehen will.

Die Bauern- und Industrievertreter unterschätzten heute möglicherweise die grüne Welle in der Bevölkerung, die schon seit Monaten anhält, vielleicht über die Wahlen im Herbst hinaus bis zum Abstimmungstermin im nächsten Frühling.

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