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Vorwurf Sexueller Missbrauch Weshalb religiöse Gruppierungen anfällig sind für sexuelle Gewalt

Das Oberhaupt einer tamilischen Freikirche in der Stadt Bern soll junge Frauen wiederholt missbraucht haben. Das zeigen Recherchen der SRF-Sendung «Rundschau». Weshalb es gerade im religiösen Umfeld immer wieder zu sexualisierter Gewalt kommt, damit hat sich die Theologieprofessorin der Universität Bern, Isabelle Noth, in ihrer Forschung befasst.

Isabelle Noth

Evangelische Theologin

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Noth ist Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der Universität Bern.

SRF News: Ist das religiöse Umfeld besonders anfällig für sexuelle Übergriffe?

Isabelle Noth: Es ist offensichtlich, dass das religiöse Umfeld ein besonderes Möglichkeitsfeld für sexualisierte Gewalt ist. Zugleich steht fest: Der Grossteil der sexualisierten Gewalt findet im familiären Umfeld statt. Das darf man nicht vergessen. Und dennoch muss man bei den Kirchen hinschauen.

Weshalb bietet das religiöse Umfeld denn Möglichkeiten für sexualisierte Gewalt?

Weil Täterinnen und Täter dort ganz andere Machtmittel haben. Sie können auf das Geistliche oder Heilige verweisen und haben dadurch eine ganz andere Rückendeckung. Sie können zum Beispiel behaupten: «Es ist Gottes Wille» oder «Gott hat mich bemächtigt». Das ist in einem säkularen Kontext nicht möglich. Dort funktioniert der Verweis auf eine höhere Macht nicht.

Im religiösen Umfeld kann die persönliche Verantwortung abgeschoben werden.

In einem religiösen Umfeld aber kann die Verantwortung auf das Geistliche, auf Gott abgeschoben werden. Das ist ein Mechanismus, den man beobachten kann.

Ermittlungen führten 2019 ins Leere

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Bereits 2019 erhoben mehrere junge Frauen in der SRF-Sendung «Rundschau» schwere Vorwürfe gegen das Oberhaupt der tamilischen Freikirche in Bern. Die Staatsanwaltschaft entschied nach rund zwei Jahren, den Fall in Bezug auf die Missbrauchsvorwürfe nicht weiterzuverfolgen. Es lagen keine Anzeigen vor.

Anders als 2019 haben nun mehrere Frauen Anzeige erstattet. Die Berner Staatsanwaltschaft bestätigt, dass gegen den Pastor eine Untersuchung eröffnet wurde.

Der Pastor bestreitet die Vorwürfe. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

Können Sie erklären, weshalb mutmassliche Opfer von sexualisierter Gewalt im religiösen Kontext zögern, sich an die Justiz wenden?

Unter der Voraussetzung, dass es sich tatsächlich um Opfer handelt, lässt sich sagen: Der Gehorsam spielt eine grosse Rolle. Den Opfern ist eingetrichtert worden, dem Pastor, dem Geistlichen zu gehorchen. Zudem ist eine unglaubliche Angst da, alleine dazustehen und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Dazu kommt sehr viel Scham. Es braucht wahnsinnig viel Mut und Unterstützung, als Opfer in einem solchen Fall hinzustehen.

Was können religiöse Gruppierungen tun, um sexualisierte Gewalt im eigenen Umfeld zu verhindern?

Sie müssen Strukturen, Lehren und auch ihre Wahrnehmung schulen. Oft haben solche Gruppierungen sehr patriarchale Strukturen, sie basieren auf Unterdrückung und Gehorsam. Das darf nicht sein. Gleichzeitig gilt: Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Solche Gruppierungen sind immer auch in ein Umfeld eingebunden. Solche Gruppierungen können ja auch nur in einer Gesellschaft funktionieren, die vieles in diesem Bereich duldet.

Der Grossteil der sexualisierten Gewalt findet im familiären Umfeld statt, nicht im religiösen.

Das Wichtigste ist deshalb eine Sensibilisierung der ganzen Gesellschaft. Denn nochmals: Die meisten Übergriffe finden im familiären Umfeld statt, nicht in religiösen Gemeinschaften.

Das Gespräch führte Leonie Marti.

Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 25.1.2024, 12:03 Uhr ; 

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