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Die Bundesanwaltschaft im Abgas-Nebel
Aus Kassensturz vom 30.11.2021.
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VW-Dieselskandal Die Bundesanwaltschaft im Abgas-Nebel

In vielen Ländern muss der VW-Konzern Entschädigungen zahlen. Die Bundesanwaltschaft macht es den Schweizern schwer.

Fünf Jahre lang hat die Staatsanwaltschaft des Bundes ermittelt. Fünf Jahre lang haben die Bundesstaatsanwälte Akten gesichtet und Dossiers gefüllt. Fünf Jahre lang nährte die Bundesstaatsanwaltschaft die Hoffnung, dass sie den Auto-Weltkonzern Volkswagen, die Amag und weitere Beschuldigte wegen Betrugs anklagen werde. Dem ist, vorerst zumindest, nicht so: Anfang November kündigte die Bundesstaatsanwaltschaft an, dass sie ihr Verfahren einzustellen gedenke. Grund: unter anderem «kein anklagenügender Tatverdacht», wie es im Juristenjargon heisst.

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A. Konrad, Zivilkläger: «Überall erfolgen Verurteilungen, aber in der Schweiz schafft man es nicht.»
Aus Kassensturz vom 30.11.2021.
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«Weltweit gibt es Verurteilungen von VW»

Für Alfred K. ist das unverständlich. «Weltweit gibt es Verurteilungen von VW. Und in der Schweiz schafft man es nicht, eine Rechtslage hinzubringen, die vergleichbar ist.» Alfred K. fährt einen Audi A4, den er für 60'000 Fr. gekauft hat. Wegen dem Dieselskandal hat sein Auto an Wert verloren, falls er es weiterverkaufen möchte. Deshalb hat sich Alfred K., wie rund 4700 weitere Geschädigte in der Schweiz, dem Strafverfahren der Bundesstaatsanwaltschaft als Privatkläger angeschlossen.

Anfang November hat Alfred K., wie alle Privatkläger, ein Schreiben von der Bundesstaatsanwaltschaft erhalten, dass man noch bis 30. November 2021 Zeit habe, neue Beweisanträge einzureichen. Danach wars das dann. Zumindest im Strafverfahren und als Privatkläger.

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«Keine Lust den Fall zu bearbeiten»

Für den Genfer Anwalt Jacques Roulet ist die Verfahrenseinstellung ein Skandal. Der Jurist hat vor fünf Jahren vor dem Bundesstrafgericht ein Urteil erwirkt, dass die Bundesstaatsanwaltschaft zwingt, ein Strafverfahren gegen VW, Amag und weitere Beschuldigte zu führen. Und jetzt droht die Einstellung. «Die Staatsanwaltschaft hat keine Lust, diesen Fall zu bearbeiten», resümiert Roulet. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Martin Winterkorn, habe ja zugegeben, dass VW bei den Abgaswerten manipuliert habe. «Wenn der Bundesanwalt jetzt sagt, er schliesse den Fall ab, dann hat er schlecht gearbeitet», sagt Jurist Roulet.

Das sagt die Bundesanwaltschaft

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Wir weisen Sie auch darauf hin, dass die BA grundsätzlich einzelne Verfahrensschritte nicht kommentiert und dass ein schweizerisches Strafverfahren aufgrund der unterschiedlichen Rechtsordnungen nicht mit anderen Verfahren im Ausland verglichen werden kann.

Nach der Eröffnung des Strafverfahrens hat die BA noch im Dezember 2016 bei der durchgehend kooperativen AMAG mehr als 1 Terabyte Daten sichergestellt. Diese Daten wurden zuerst mittels Schlüsselwörtern und Kombinationen dieser Schlüsselwörter durchsucht; Schlüsselwörter, die von AMAG, BA und Bundeskriminalpolizei sowie vom gewichtigsten Geschädigtenanwalt (er vertritt eine dreistellige Anzahl Privatkläger) bestimmt worden waren.

Die dabei angefallenen Treffer in fünfstelligem Umfang wurden anschliessend von Ermittlern der Bundeskriminalpolizei in aufwändiger manueller Sichtung einzeln auf ihre potenzielle Beweisrelevanz hin geprüft. Verfahrensrelevante Dokumente und Daten in nunmehr überschaubarem Umfang wurden rechtskräftig beschlagnahmt und zu den Verfahrensakten genommen. Weiter stellte die BA verschiedene Rechts- und Amtshilfeersuchen und konnte Ende September 2021, nachdem die Pandemiesituation dies wieder zuliess, den früheren CEO und Unternehmensvertreter der AMAG parteiöffentlich als Auskunftsperson einvernehmen.

Im Rahmen der aktuellen Möglichkeit zur Akteneinsicht werden die gesamten Verfahrensakten den Privatklägern auf Anfrage auf einem USB-Stick gegen eine Aufwandentschädigung von CHF 50.- zur Verfügung gestellt. Diese im PDF-Format elektronisch durchsuchbaren Akten sind so aufbereitet, dass eine gezielte Auswahl und Suche sowie eine effiziente Durchsicht möglich sind.

Die BA hat im November 2021 nach fünf Jahren intensiver Ermittlungen die Beschuldigten und die Privatkläger schriftlich informiert, dass sie die Untersuchung als vollständig erachtet und beabsichtigt, das Verfahren einzustellen. Aufgrund der bisherigen umfangreichen Ermittlungsarbeiten ist die BA zum vorläufigen Schluss gekommen, dass aus strafrechtlicher Sicht keine ausreichende Grundlage für den Erlass eines Strafbefehls oder für eine Anklageerhebung besteht. Im Rahmen des aktuellen Abschlussverfahrens erhalten die Privatkläger und deren Rechtsvertreter nun aber Gelegenheit, die Akten einzusehen und Beweisanträge zu stellen. Anschliessend entscheidet die BA über die Entscheidrelevanz von allfälligen Beweisanträgen, bevor sie die Art des Verfahrensabschlusses definitiv festlegt.

Die von Ihnen erwähnte «Frist von 30 Tagen» bezieht sich nicht auf die Einsprache gegen die derzeit in Aussicht gestellte Einstellung des Verfahrens, sondern ausschliesslich auf die Möglichkeit der Akteneinsicht und der Stellung von Beweisanträgen. Die Frist wird auf entsprechende Gesuche der Privatkläger und -klägerinnen oder deren Rechtsvertreter hin einmalig erstreckt.

Selbst wenn die BA das Verfahren einstellen sollte, steht den Privatklägern der Zivilweg offen.

Arglistige und damit strafbare Täuschung von VW

Mark Pieth, Professor für Strafrecht und Kriminologie und weltweit anerkannter Korruptionsexperte der Universität Basel kritisiert, dass die Bundesanwaltschaft das Strafverfahren einstellen will: «Es ist nicht so, dass etwas, was in Deutschland Betrug ist, bei uns kein Betrug wäre.» Es gäbe im Strafrecht zwar kleine materiell-rechtliche Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz. Aber der Aufwand, den der VW-Konzern betrieben hat, um die Manipulation zu verdecken, sei klar arglistig und damit strafbar.

Das sagt die Amag

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Zur Frage nach einer Entschädigung von Schweizer Kundinnen und Kunden:

«Die AMAG Import AG ist Importeurin verschiedener Marken des Volkswagenkonzerns für die Schweiz und Liechtenstein. In dieser Funktion kauft sie die Fahrzeuge vom Hersteller und verkauft sie weiter an ihre Händler in der Schweiz und in Liechtenstein. Die Frage, ob und wie Kunden in anderen Ländern von der Volkswagen AG oder Drittparteien entschädigt werden, kann AMAG nicht beantworten. Mit der kostenlosen Nachbesserung erfüllen die Fahrzeuge die geforderten Grenzwerte ohne Mehrverbrauch oder Minderwert der Fahrzeuge. Die ursprünglichen Produktmängel sind somit behoben.»

Zur Frage bezüglich Kulanz gegenüber Geschädigten um damit Prozesse zu verhindern, wie das der Genfer Anwalt Jacques Roulet in einem Brief an Amag anmahnt:
«Das Genfer Urteil beruht (…) im Wesentlichen auf einem Gutachten zu einem einzelnen Fahrzeug. Das Gutachten wirft verschiedene Fragen auf, weshalb die AMAG das Urteil von der nächsten Instanz überprüfen lässt. Das Urteil ist darum nicht rechtskräftig. Bei dieser Gelegenheit möchten wir zudem festhalten, dass die AMAG Import AG alle in der Schweiz befindlichen Fahrzeuge, die von der Dieselthematik betroffen waren, umgerüstet hat. Die Schweiz war das Land, das diese Umrüstungen am schnellsten vorgenommen hat.»

Zur Frage nach der Verantwortung
«Die AMAG übernimmt gerne Verantwortung für Fehler, die sie begangen hat. Die Rolle der AMAG Import AG ist wie bereits erwähnt der Import von Fahrzeugen des Volkswagen Konzern und der Weiterverkauf dieser Fahrzeuge an das Handelsnetz. Die AMAG Import AG hat alle in der Schweiz befindlichen Fahrzeuge, die von der Dieselthematik betroffen waren, umgerüstet.»

Konsumentenschutz in den Startlöchern

Immerhin: Für die tausenden Geschädigten im Abgasskandal scheint noch nicht aller Tage Abend. Auch wenn das Strafverfahren wohl eingestellt werden wird, besteht weiterhin die Chance einen Zivilprozess anzustreben. Und diverse Prozesse in mehreren Ländern, auch der Schweiz, versprechen durchaus Erfolgchancen. Und: Die Stiftung für Konsumentenschutz hat gegenüber «Kassensturz» angetönt, dass sie kurz vor einer Lösung stünden, damit Geschädigte aus der Schweiz doch noch gegen die Volkswagen AG vorgehen könnten.

Für den Schweizer Steuerzahlenden hingegen bleibt das Verfahren hingegen ein Frust. Denn die ganzen Kosten aus dem Verfahren der Bundesstaatsanwaltschaft überwälzt die Behörde auf die Bundeskasse.

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Strafrechtsprofessor Mark Pieth: «Als Staatsanwalt muss man nicht den stringenten Nachweis erbringen, wenn man Anklage erheben will.»
Aus Kassensturz vom 30.11.2021.
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Transparenz: «Kassensturz»-Redaktor Rolf Gatschet ist einer von rund 4700 Privatklägern im Strafverfahren der Bundesanwaltschaft vs. Volkswagen AG und Amag. Als Privatkläger hat er Akteneinsicht.

Kassensturz, 30.11.21, 21:05 Uhr

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