Beobachter und Kandidierende sind sich einig: Wer am 20. Oktober (oder im zweiten Wahlgang am 24. November) die Ersatzwahl in den Aargauer Regierungsrat gewinnt, der oder die übernimmt höchstwahrscheinlich das Departement Gesundheit und Soziales.
Denn dieses Departement wurde von Franziska Roth (Ex-SVP) nach gut zwei Jahren mit ihrem Rücktritt verlassen. Es ist deshalb ein spezieller Wahlkampf: Die Kandidierenden profilieren sich für einmal mit ganz spezifischen politischen Programmen.
In einer Frage sind sich alle einig: Die Kosten im Gesundheitswesen laufen aus dem Ruder, die Prämien für die Krankenkassen steigen zu stark. Wie man diese Entwicklung bremsen kann, darüber gehen die Meinungen aber naturgemäss stark auseinander.
Gallati will Operationen begrenzen
SVP-Kandidat und Anwalt Jean-Pierre Gallati aus Wohlen hat ein eigenes «Regierungsprogramm» mit Ideen vorgelegt. Er fordert darin unter anderem spezielle Strukturen für Migranten («Ansturm auf Notfall eindämmen») und die Ausschreibung von Spitex-Diensten in einem Wettbewerb-System, so dass der günstigste Anbieter gewinnen kann.
Insbesondere seine Forderung nach «Mengenrichtwerten» für Spitäler stösst aber auf Beachtung. Gallati will, dass der Kanton für einzelne Operationen Mengenziele und Qualitätsziele vereinbart und diese mit einem Bonus/Malus-System durchsetzt. Die SVP spricht von einer «intelligenten Kostenbremse».
Glarner will zwei Gesundheitsregionen
FDP-Kandidatin Jeanine Glarner aus Möriken-Wildegg arbeitet im Kommunikationsbereich für den Berufsverband der Ärztinnen und Ärzte FMH. Sie zieht das Programm ihres SVP-Konkurrenten in Zweifel. Ein Globalbudget für Spitäler sei zwar rechtlich möglich, werde in den Kantonen Waadt, Genf und Tessin auch so angewandt. Allerdings: «Eine im Sommer 2019 vom BAG in Auftrag gegebene Studie zur Wirkung dieser kantonalen Globalbudgets zeigt klar auf, dass sie keine kostendämpfende Wirkung entfalten.»
Glarner setzt auf eine zentrale Steuerung des Gesundheitswesens. Sie möchte zwei «Gesundheitsregionen» schaffen, in denen Ärzte, Spitex, Pflegeheime und Spitäler zusammenarbeiten. Kleine Eingriffe könnten in Gesundheitszentren erbracht werden, die Spitäler wären für komplexe Eingriffe zuständig. Hochspezialisierte Medizin könne man auch in ausserkantonalen Spitälern «einkaufen», so Glarner.
Lüscher setzt auf Hausarzt-Versorgung
Auch der Grüne Severin Lüscher möchte das Gesundheitswesen niederschwelliger gestalten und die Menschen davon abhalten, mit Bagatellen ins Spital zu rennen. Der Hausarzt aus Schöftland setzt dabei vor allem auf die Förderung der Hausarztmedizin. Er möchte die Arbeit in Netzwerken fördern, so dass die Menschen von Hausärzten und regionalen Gesundheitszentren versorgt werden und damit weniger Aufenthalte in teuren Spitälern nötig wären.
Auch Lüscher hält übrigens nichts von einer Mengenbegrenzung bei Operationen. «Die nicht budgetierten Operationen werden dann einfach ausserkantonal gemacht, oder es werden mehr Schmerzmittel verschrieben und geschluckt. Wo das hinführt sehen wir in den USA, die eine Epidemie von Todesfällen beklagen infolge ärztlich verschriebener Opioide», schreibt Lüscher auf seiner Website.
Aebi für Regionalspitäler und Outsourcing
Auch die Grünliberale Doris Aebi, wie Lüscher aus Schöftland, sieht in der regionalen Grundversorgung eine Chance. Notfälle könnten in den Regionalspitälern häufig kostengünstiger behandelt werden, heisst es in ihrem Positionspapier. Auch sie möchte neue Zusammenarbeitsmodelle – zum Beispiel in Gesundheitszentren – zumindest prüfen.
Zudem möchte sie für die hochspezialisierte Medizin ähnlich wie Jeanine Glarner interkantonale Lösungen, um Kosten im Aargau sparen zu können. Aebi setzt aber auch auf die Privatisierung gewisser Leistungen. So könnten zum Beispiel Labor-Arbeiten auch an private Dienstleiter ausgelagert werden, glaubt die Geschäftsführerin einer Personalfirma für Führungskräfte und ehemalige Solothurner SP-Politikerin.
Feri will gute Arbeitsbedingungen für Pflegepersonal
Auch SP-Kandidatin Yvonne Feri aus Wettingen sieht ein Problem bei den Spitälern. Sie fordert «Finanzierung von Spitex und Pflege, anstelle von überrissenen Chefarztlöhnen» sowie die Sicherstellung einer «flächendeckenden Gesundheitsversorgung für alle».
Damit die Krankenkassenprämien für alle bezahlbar bleiben, setzt die Nationalrätin und ehemalige Gemeinderätin auch auf die Unterstützung durch Prämienverbilligung. Sie verlangt, dass der Kanton den finanziellen Rahmen ausschöpft «gemäss Vorgaben des Bundesgerichts» und möchte zudem einen «niederschwelligen Zugang», so dass alle Prämienverbilligung erhalten, die sie benötigen.
Eine grosse, komplexe Aufgabe
An Ideen mangelt es den potentiellen Gesundheitsdirektorinnen und Gesundheitsdirektoren offensichtlich nicht. Die Frage ist, ob es einer neuen Regierungsrätin oder einem neuen Regierungsrat auch wirklich gelingen kann, ein ganz neu gedachtes Gesundheitssystem einzuführen. Denn die bisherigen Versuche zeigen: Die ganz grossen Würfe haben es schwer im politischen Prozess, in dem es darum geht, Mehrheiten zu finden.
Gut möglich, dass die gut klingenden Konzepte nach den Wahlen vorerst in der Schublade verschwinden und es dann auch für den oder die Neue im Gesundheitsdepartement viel mehr um die kleinen Schritte auf dem Weg zu einem effizienteren Gesundheitswesen geht.
Immerhin: In einer Frage sind sich alle Kandidierenden offenbar einig. Die Regionalspitäler oder zumindest regionale Gesundheitszentren für die Erstversorgung möchten alle Kandidierenden irgendwie erhalten oder sogar fördern. Das dürfte all jene Menschen freuen, die sich vor weiteren Spitalschliessungen in den (Rand-)Regionen fürchten.