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Analyse zum Nationalrat Rechtsrutsch ohne rechte Mehrheit

Diese Wahlen haben ihre Geschichten und Ausrufezeichen. Die SVP kommt dank einer massiven monothematischen Zuwanderungs-Kampagne und wohl auch beflügelt von Entwicklungen in Nahost ihrem bisherigen Rekordergebnis sehr nah. Diese Wahl in unsicheren Zeiten hat rechte Wählerinnen und Wähler mobilisiert, die mehr «Law and Order» verlangen.

Ein Ausrufezeichen setzt die Mitte-Partei, weil sie erstmals mit der FDP gleichzieht. Und natürlich schreiben die Grünen eine der grössten Schlagzeilen dieser Wahl: Sie stürzen regelrecht ab in der Wählergunst.

Auftrieb für rechte Anliegen

Doch was ändert sich mit dieser Wahl? «Die Konsequenz dieser Wahl wird eine härtere Zuwanderungs- und Asylpolitik sein», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi gegenüber SRF. Doch so einfach wird das nicht. Das zeigt ein Blick auf die Stärke der einzelnen Blöcke im Nationalrat.

Der rechte Block aus SVP, FDP und den kleineren Rechtsparteien steigert sich gemäss der zweiten Hochrechnung um elf auf 95 Sitze – es verfehlt damit die absolute Mehrheit von 2015. Der Rechtsruck wird sehr wohl das politische Klima, die politische Dynamik im Bundeshaus verändern. Das sah man vor vier Jahren nach der Klima- und Frauenwahl: Die Verschiebungen gaben progressiven Anliegen Auftrieb, weit über das linke Lager hinaus. Das dürfte nun mit politisch umgekehrten Vorzeichen passieren.

Trotzdem: Eine rechte Revolution wird nicht ausbrechen in der Schweiz. Im Asylbereich wird die FDP auch künftig Maximalforderungen der SVP im Asylbereich ablehnen, sie könnte aber noch stärker als bisher auf Verschärfungen etwa bei der Ausschaffung von abgewiesenen Asylsuchenden drängen. Deutlich geringer ist die Übereinstimmung bei der Zuwanderung aus der EU: Für Verschärfungen beim freien Personenverkehr mit der EU wird die FDP weiterhin kaum zu haben sein.

Auch Mitte-links-Mehrheit bleibt möglich

Entscheidend für den politischen Kurs der Schweiz bleibt – wie immer – die politische Mitte. Doch sie wird geschwächt. Zwar legt die Mitte-Partei aufsehenerregend zu und dürfte gar auf mehr Nationalratssitze kommen als die FDP. Die Grünliberalen aber verlieren gleich fünf Sitze und ziehen so die Gesamtbilanz ins Minus.

Insgesamt aber bleibt der Mitte-Block stark genug für Mehrheiten in beide Richtungen: Auch eine Mitte-links-Mehrheit bleibt möglich, obwohl hier die Sicherheitsmarge deutlich geschrumpft ist. Das linke Lager nämlich verliert sieben Sitze und kann sich gar noch glücklich schätzen darüber. Für die Grünen nämlich hätte die Sache gemessen an ihrem Wählerverlust noch schlechter ausgehen können.

Vorläufiges Ende der grünen Bundesratsträume

Bleiben die Bundesratsfrage. Eine Frage ist so gut wie beantwortet: Aus den grünen Bundesratsträumen dürfte auch diesmal nichts werden. Fraktionschefin Aline Trede hat gegenüber SRF bereits signalisiert, dass es nach dem Sturz unter die psychologische 10-Prozent-Marke sehr schwierig werden könne. Zudem: Welche ernsthafte Kandidatin, welcher ernsthafte Kandidat will sich für eine ziemlich aussichtslose Kandidatur hergeben?

Die zweite Frage betrifft die Mitte. Sie zieht gemäss Hochrechnung bei den Wähleranteilen mit der FDP gleich und überflügelt sie gemessen an Sitzen. Reicht das, um den Freisinnigen den zweiten Bundesratssitz strittig zu machen? Wohl eher nein, auch weil kaum jemand Lust hat, amtierende Bundesräte anzugreifen.

Dominik Meier

Bundeshausredaktor

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Dominik Meier ist seit 2008 bei SRF. Nach Stationen bei der Radio-Inlandredaktion und der «Rundschau» arbeitet er seit 2022 im Bundeshaus-Team von Radio SRF.

Wahlstudio, 22.10.2023, 12:00 Uhr

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