Zum Inhalt springen

Speziallisten der Parteien Der Kampf der Chancenlosen

Noch nie haben so viele Schweizerinnen und Schweizer für den Nationalrat kandidiert. Es gibt eine veritable Listenflut. Die Parteien hoffen, so mehr Stimmen zu erhalten. Die Kandidierenden selbst sind chancenlos. Weshalb kandidieren sie trotzdem? Die «Rundschau» hat sie getroffen.

Regensdorf (ZH) am frühen Abend. Alper Bingöl, in der Türkei geboren, ist Sicherheitsberater und hier für die Jugendarbeit unterwegs. Jeder auf der Strasse kennt ihn. Trotzdem dürfte seine Kandidatur für den Nationalrat chancenlos sein. Er ist einer von 1341 Kandidierenden im Kanton – bei 36 Plätzen im Nationalrat. Der Mann mit Migrationshintergrund kandidiert für die SVP. Die Partei stellt dieses Jahr erstmals eine «Secondo-Liste».

Bingöl sagt: «Es braucht Mut, als ein Secondo bei der SVP zu sein, um das zu vertreten.» Er sagt, er stehe hinter den Werten der SVP. Nur Plakate, mit denen die Partei Stimmung gegen Ausländer mache, finde er nicht gut. «Sie propagieren falsch, aber denken richtig: Auch ich wünsche mir Sicherheit für mein Land und dass nicht zu viele Ausländer hereinkommen, die nicht arbeiten oder mitwirken.»

Mobilisierung mit Drag-Show

Lila-Festival in der «Roten Fabrik» am Zürichsee. Überall hängen Regenbogenfahnen. Tobias Urech verwandelt sich in «Mona Gamie». Er ist eine Dragqueen – und Kandidat für die Zürcher SP. Die SP tritt in Zürich mit einer queeren Liste an. Urech hofft, so die LGBTQ-Community für die Wahlen mobilisieren zu können. «Es gibt einen Backlash. Den müssen wir bekämpfen, und deswegen ist es ganz wichtig, dass die, die können, an der Urne wählen gehen und vor allem auch entsprechend queer abstimmen.» Seine Community sei nach wie vor mit viel Hass konfrontiert. Dagegen will er sich wehren.

Junge für Alte – oder doch für alle?

Im Kanton Schwyz macht sich Evelyne Marciante bereit für ihren Wahlkampfeinsatz. Die Rentnerin soll an diesem Tag auf dem Markt in Wollerau die Wählerinnen und Wähler für sich und die FDP begeistern. Die Partei zieht im Kanton Schwyz mit sieben Listen und 28 Kandidierenden in die Wahlen. Sitze hat die Partei bisher nur einen. «Boomers für die Jugend» heisst die Liste, auf der Marciante kandidiert.

Sie wolle sich für die jüngeren Generationen einsetzen, betont Marciante. Doch mit Jungen kommt Marciante an diesem Tag in Wollerau nicht in Kontakt. «Die Jungen sind eher untereinander. Die wollen ein bisschen aggressiver auftreten, und das sind wir nicht», sagt Marciante. Trotzdem: Marciante vertritt die liberalen Werte, lange Zeit präsidierte sie selbst die kantonalen FDP-Frauen.

Wahlkampf vom Strand aus

Matthias Anderegg führt seinen Wahlkampf von Thailand aus. Doch die Stimmen für ihn sollen aus dem Kanton Thurgau kommen. Dort hat die Mitte ihn aufgestellt. Anderegg war 35 Jahre lang für die Schweiz im Ausland tätig, auch in Kriegsgebieten. Sein Appell: «Schätzt die Demokratie, es gibt sie nicht überall!»

Zwar sei er nach seiner Pensionierung politmüde gewesen. Doch Probleme mit der Krankenversicherung für Auslandschweizer hätten ihn wieder politisiert. Damals setzte sich die Mitte für seine Anliegen ein. Mit seiner Kandidatur will er auch andere Schweizer Expats für die Politik gewinnen. «Ich sehe meine Aufgabe einfach darin, die Leute darauf aufmerksam zu machen, dass die Demokratie nur leben kann, wenn wir uns gut informieren und unsere Stimme ein Gewicht hat», erklärt Anderegg.

SRF Rundschau, 20.09.2023, 20:05 Uhr

Meistgelesene Artikel