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Wegen zusätzlicher Auflagen Fehlt in der Schweiz künftig jedes achte Medizinprodukt?

Die Medtech-Branche warnt vor Engpässen, weil EU-Firmen aus dem Schweizer Markt aussteigen könnten – und fordert den Bundesrat zum Handeln auf.

Schweizer Medizinprodukte in die EU zu liefern ist seit dem letzten Frühling komplizierter. Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens müssen hiesige Medtech-Unternehmen zusätzliche Auflagen erfüllen, wenn sie in EU-Länder exportieren. Die meisten haben sich damit arrangiert. Anders sieht es auf der EU-Seite aus.

Für ausländische Unternehmen gelten dieselben neuen Hürden – so will es der Bundesrat. Doch nicht alle Firmen nehmen für den kleinen Schweizer Markt einen Extra-Aufwand in Kauf.

Swiss Medtech: Hürden sollen abgebaut werden

Der Präsident des Branchenverbands Swiss Medtech, Beat Vonlanthen, warnt deshalb vor Engpässen: «Es besteht die Gefahr, dass das Gesundheitswesen die benötigten Produkte im Medtech-Bereich nicht mehr erhalten wird, und dass letztlich die Patientinnen und Patienten auf Operationen verzichten müssen. Das ist für uns ein Skandal und wir wollen, dass man diese Hürden jetzt in der Schweiz abbaut.»

Zu diesen neuen Hürden gehört ein spezieller Bevollmächtigter für die Schweiz, den jede Firma einzeln bereitstellen muss. Bei Nischenprodukten – wie speziellen Schläuchen für die Neonatologie – lohnt sich dieser Zusatzaufwand kaum. Bei grossen Liefermengen gibt es ein anderes Problem: Die EU-Unternehmen müssen ihre Produkte speziell für die Schweiz etikettieren. Alleine für Inkontinenzwindeln würden pro Woche über eine halbe Million Zusatzetiketten benötigt. Eine mögliche Konsequenz sind höhere Preise – oder der Ausstieg aus dem Schweizer Markt.

Derzeit kommen fast wöchentlich Informationen von Lieferanten, dass bestehende Artikel nicht mehr lieferbar sind und wir müssen Alternativen suchen.
Autor: Reto Bucher Chefeinkäufer am Kantonsspital Aarau

Laut einer Branchenumfrage könnte in den nächsten Jahren jedes achte Medizintechnikprodukt fehlen. Insgesamt wären das etwa 360'000 Produkte. Leidtragende wären die Patientinnen und Patienten, sofern die Spitäler nicht schnell genug Ersatz finden.

Reto Bucher, Chefeinkäufer am Kantonsspital Aarau, sagt, schon heute gebe es Lieferprobleme: «Derzeit kommen fast wöchentlich Informationen von Lieferanten, dass bestehende Artikel nicht mehr lieferbar sind und wir müssen Alternativen suchen.» Auch formell sei die Beschaffung aufwendiger geworden, seit die Schweiz bei der EU als Drittstaat gilt: «Wir müssen viel mehr Daten pflegen. Dass wir das überhaupt meistern können, mussten wir unser Team um zwei Personen aufstocken.»

Bundesrat trifft Massnahmen

Aus Sicht des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ist es schwierig abzuschätzen, ob künftig tatsächlich jedes achte Produkt nicht mehr verfügbar ist. BAG-Projektleiter Allessandro Pellegrini sagt, dies hänge nicht nur von der Regulierung ab. Die Anforderungen an Medizinprodukte seien generell gestiegen, weshalb manche Unternehmen ihr Sortiment verkleinern würden.

Der Bundesrat habe aber Massnahmen getroffen, um die Versorgung sicherzustellen: «Swissmedic kann, wenn es im Interesse der öffentlichen Gesundheit und der Patienten ist, Ausnahmen gewähren. Dies gilt auch für Produkte, die nicht vollständig dem Schweizer Medizinprodukterecht entsprechen.»

Aus Sicht von Swiss Medtech sind die Kriterien für diese Ausnahmen zu eng definiert. Verbandspräsident Vonlanthen fordert, dass der Bund die Medizinprodukteverordnung ändert – und zwar noch bis Ende Jahr. Konkret sollen EU-Firmen auf die speziellen Schweizer Etiketten verzichten können.

Tagesschau, 19.10.2021, 19:30 Uhr

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