Phthalate und Bisphenole sind Substanzen, welche die Industrie als Weichmacher in einer Vielzahl von Kunststoffen verwendet: in Plastikspielzeug, Kunststoffbechern, aber auch in Laminatböden und Kleidern. «Dabei handelt es sich um toxische Moleküle, welche die Gesundheit der Kinder belasten können. Wir wollten wissen, mit welche Menge dieser Stoffe Kleinkinder belastet sind,» sagt Davide Staedler, Toxikologe an der Universität Lausanne.
Dazu analysierte der Toxikologe den Urin von 110 Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Für die Untersuchung schickten Eltern aus drei Kantonen die Windeln ihrer Kinder ins Labor. Es handelt sich um die erste Studie dieser Art in Europa.
Hormonaktive Stoffe
Das Resultat ist besorgniserregend: Bei 47 Prozent der Kinder fand das Labor Rückstände von Bisphenolen und Phthalaten – in vielen Kindern nicht nur einen solchen Stoff, sondern gleich mehrere. «Bisphenole und Phthalate sind Teil der sogenannten endokrinen Disruptoren. Diese können den Hormonhaushalt, die Entwicklung verschiedener Organe und das Nervensystem beeinflussen», erklärt Studienleiter Davide Staedler.
Die Kinder seien nicht vergiftet, es drohe keine unmittelbare Lebensgefahr, betont der Toxikologe. Die gefundenen Stoffe könnten aber die Entwicklung eines Kindes für den Rest seines Lebens beeinträchtigen. Aufgenommen werden die Stoffe über die Umgebung: Beim Spielen, beim Essen, beim Trinken.
Gesundheit versus wirtschaftliche Interessen
In Helsinki befindet sich die Europäische Agentur für chemische Substanzen (ECHA). Sie überwacht den Einsatz chemischer Stoffe in Produkten für den europäischen Markt. Ihr Leiter Bjorn Hansen zeigt sich über das Ergebnis der Schweizer Studie nicht überrascht: «Bereits vor zehn Jahren haben wir verstanden, dass es sich bei Phthalaten um Endokrine Disruptoren handelt. Dann aber muss geklärt werden, welches reale Risiko davon ausgeht und welche ökonomischen Konsequenzen ein Verbot oder eine Einschränkung haben.»
Probleme bei der Kontrolle
Für einige der gesundheitsgefährlichen Disruptoren hat die ECHA in den letzten Jahren Verbote und Einschränkungen ausgesprochen. So ist etwa Bisphenol A in der EU seit 2011 in Babyflaschen verboten (in der Schweiz seit 2017).
Auf viele Weichmacher will die Industrie aber nicht verzichten, und die EU-Behörde ist nicht über alle Anwendungen informiert: «Ja, es gibt Probleme bei der Kontrolle», gibt Bjorn Hansen unumwunden zu. Die ECHA habe es sich zum Ziel gesetzt, alle 30'000 chemischen Substanzen im europäischen Markt bis ins Jahr 2027 unter Kontrolle zu haben. «Gerne möchte ich Ihnen heute schon die totale Sicherheit versprechen. Dazu benötigen wir aber noch etwas Zeit», sagt der Leiter der EU-Behörde.