In der ehemaligen Kapelle von Ravecchia bei Bellinzona hallt es von den Wänden, wenn Roberta Gioli mit ihrer kräftigen Stimme den Helferinnen und Helfern Anweisungen gibt. Es sind etwa ein Dutzend ältere Frauen und Männer.
Sie stellen gefüllte Säcke bereit. Alle Freiwilligen tragen rote Schürzen mit der Aufschrift «Tavolino magico». Roberta leitet dieses Verteilzentrum schon seit dem Anfang vor zehn Jahren.
«Singles haben Anspruch auf je ein Kilo Gemüse und Früchte. Familien erhalten sechs Kilo», sagt sie und zeigt stolz auf die frische Ware. In erster Linie gehe es hier darum, den armen Leuten zu helfen. Zum anderen könne man aber auch etwas gegen die Lebensmittelverschwendung («Foodwaste») tun.
Nur frisches Gemüse und Obst
Die Ware sieht knackig und frisch aus, und das muss sie auch sein. Denn auch bei «Tavolino magico» gelten die Lebensmittelvorschriften. So wird Fleisch und Fisch nur tiefgekühlt abgegeben.
Etwa 150 Personen werden bei diesem Verteilzentrum hier in der alten Kapelle wöchentlich mit Gratislebensmitteln versorgt. Dazu braucht man eine entsprechende Bezugskarte, welche von der jeweiligen Gemeinde ausgestellt wird und den Anspruch auf Unterstützung bestätigt.
Zudem bezahlt man symbolisch einen Franken. Den hat auch die 30-jährige Francesca bezahlt. Seit sechs Jahren holt sich die angehende Lehrerin Lebensmittel bei «Tavolino magico». Ihre finanzielle Situation sei beim Auszug aus dem Elternhaus schwierig gewesen, sagt sie. «Deshalb ist ‹Tavolino magico› für mich seit Jahren eine wichtige Hilfe.»
Als sie von diesem Angebot erfahren habe, sei sie sehr erleichtert gewesen, habe aber auch Angst gehabt. «Am Anfang schämte ich mich etwas, weil ich immer Angst hatte, andere Studentinnen könnten mich sehen, oder Eltern von Schulkindern, die ich im Stage unterrichtete.»
Doch inzwischen sei sie überzeugt, dass es wichtig ist, darüber zu reden, wenn man in dieser Situation sei.
Viele junge Leute, aber auch Familien
Francesca ist eine von vielen, wie Simonetta Caratti von «Tavolino magico» sagt. «Leider haben wir sehr viele junge Menschen, die zu uns kommen.» Viele würden arbeiten, es gebe Frauen, Alleinerziehende, kleine Familien, grosse Familien. «Es kommen die verschiedensten Leute zu uns», so Caratti. Und es werden immer mehr.
Ich möchte hier helfen, wenn ich dann eine Arbeit habe und nicht mehr in Schwierigkeiten bin.
Im Tessin steigt die Armut seit einigen Jahren: Die Löhne sind tief, während die Kosten wie etwa Krankenkassenprämie oder Miete ständig ansteigen. «Vor fünf Jahren hatten wir 14 Verteilzentren und knapp 2000 Leute, die wir versorgt haben. Inzwischen sind es rund 1000 Menschen mehr», sagt Caratti. Und bald öffne das 18. Verteilzentrum im Tessin.
Die Nonprofit-Organisation wird ausschliesslich durch Spenden finanziert. Die Helferinnen und Helfer arbeiten ohne Entlöhnung. Allein im Tessin sind es deren 350.
Und man suche laufend noch mehr Freiwillige, sagt Caratti. Und zwar nicht nur Pensionierte. Da fühlt sich Francesca angesprochen: Sie wolle etwas zurückgeben. «Ich möchte hier helfen, wenn ich dann eine Arbeit habe und nicht mehr in Schwierigkeiten bin», sagt sie.
Noch etwa zwei Jahre lang sei sie auf die Gratislebensmittel von «Tavolino magico» angewiesen, schätzt die angehende Lehrerin. Dann stehe sie hoffentlich mit beiden Beinen im Leben.