- Mit provokativen Äusserungen versucht Gerhard Pfister , die CVP neu als christliche Wertepartei zu positionieren
- Für den CVP-Präsidenten ist klar: Die Wurzeln des säkularen Rechtsstaats liegen in der christlichen Leitkultur der Schweiz – der Islam gehöre nicht zum hiesigen Wertekanon
- Der Historiker Georg Kreis interveniert: Die Debatte sei unzeitgemäss – und die Vermischung der Religions- und Migrationsfrage gefährlich
«Die Schweiz reagiert zu wenig scharf auf Leute, die den Rechtsstaat nicht respektieren», sagt CVP-Chef Gerhard Pfister. Darum brauche es eine neue Wertediskussion.
Pfister zielt darauf ab, die christlichen Werte wieder in den Vordergrund zu rücken: «Dahinter steht die Grundlinie: Der säkulare Rechtsstaat ist aus dem Christentum hervorgegangen. Das ist eine historische Feststellung, die man bestreiten kann.»
Kann man nicht von Freiheit und Solidarität reden, ohne das Christentum zu bemühen?
Sie wird bestritten – von Historiker Georg Kreis. Er zieht an ein paar Fäden der Geschichte des Christentums. Klar, da seien grosse Leistungen, sagt er, aber auch die Kriege, Krisen und Katastrophen, bei Entstehung der Konfessionen etwa, und die Entgleisungen wie Hexen- und Märtyrerverbrennungen.
Darum sagt der Historiker: «Das Christentum ist eine derart komplexe Angelegenheit mit inneren Diversitäten, dass man es nicht so pauschal beanspruchen oder mobilisieren kann, wie Herr Pfister das tut.»
Auch in der Gegenwart sieht Kreis wenig Anlass, eine Wertediskussion ausgerechnet am Christentum zu orientieren. Darum hält er Pfisters Anstoss für eine «inadäquate Mobilisierung von Glauben in einem Zeitalter, in dem die Leute massenweise die Kirche verlassen.»
Wenn schon eine Wertediskussion geführt werde, dann müsse sie eine zeitgemässe Stossrichtung haben. Rhetorisch fragt Kreis: «Kann man nicht von Freiheit und Solidarität reden, ohne das Christentum zu bemühen?»
Die Schweiz wurde von der christlichen Kultur geprägt und nicht vom Islam.
Kann man schon, sollte man aber nicht, insistiert CVP-Chef-Pfister: «Es geht darum, dass man sich heute zeitgemäss und sinnvoll damit auseinandersetzt, was uns geprägt hat – das ist nun einmal die christliche Kultur.» Professor Kreis setze Kirche und Christentum gleich, sagt Pfister: «Das tue ich bewusst nicht.»
Deshalb beharrt er auf dem provokativen Kernpunkt seiner Wertedebatte: «Das Land wurde von der christlichen Kultur geprägt. Deswegen gehört der Islam im Sinne einer historischen Prägung nicht so zur Schweiz wie das Christentum.» Er habe nicht mehr, aber auch nicht weniger gesagt, schliesst Pfister.
Da müsste man aber mehr sagen, meint Georg Kreis: Denn was ein Land präge, sei in Bewegung, verändere sich und werde immer wieder neu bestimmt. Pfisters Geschichtsbild hingegen sei statisch, und damit würde man beispielsweise die im 16. Jahrhundert eingewanderten Hugenotten und deren reformierten Glauben als «unschweizerisch» abtun.
Was uns verbindet – und was uns trennt
Genau so verfahre Pfister nun mit dem Islam: «Pfister ruft zu einer Abgrenzung auf: Er vermischt die Glaubens- mit der Migrationsfrage und betreibt subtil Einschluss und Ausschluss gegenüber einer Religionsgruppe, die wir zu einem integralen Bestandteil unserer Bevölkerung zählen sollten.»
Das lässt Pfister so nicht gelten: «Diesen integrierenden Diskurs schafft nur der säkulare Rechtsstaat – und dabei handelt es sich um ein christliches Konzept. Insofern ist da kein Widerspruch, ich setze nur einen anderen Akzent.»
Für den Historiker ist es mehr – ganz grundsätzlich. «Wenn wir schon Religionsfragen diskutieren, sollten wir die grossen Gemeinsamkeiten hervorheben und nicht das Trennende.» Das ist das Fazit von Georg Kreis Gegenposition zu Gerhard Pfister in der Wertedebatte, die der CVP-Chef lanciert hat.