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Whistleblower-Affäre Universitätsspital Zürich handelte verfassungswidrig

Zuerst deckte er Missstände auf, dann musste er gehen. Dokumente zeigen jetzt, dass das Unispital bei der Kündigung des Whistleblowers gesetzliche Vorgaben verletzte.

Am 2. September 2020 um 19.40 Uhr schreibt der Rechtsdienst des Universitätsspitals in einem Mail: «Da kein Vergleich zustande gekommen ist, wurde heute Abend beschlossen, ein Kündigungsverfahren einzuleiten.»

Spital verwehrt Zutritt

Das Mail richtet sich an die Anwältin des Whistleblowers. Der Rechtsdienst des Unispitals ersucht sie, den Whistleblower darüber zu informieren, bereits am nächsten Tag «nicht mehr in die Klinik für Herzchirurgie» zu kommen. Kurz darauf wird sein Zugangs-Badge deaktiviert.

Nach über 15 Jahren am Unispital, zuletzt als leitender Arzt der Herzchirurgie, hat er jetzt keinen Zutritt mehr. «Ich kann nicht mehr operieren, mein Arbeitsplatz ist weg, aber auch über die Gesamtsituation ist das schon eine sehr grosse Enttäuschung», erklärt der Whistleblower im Rahmen eines längeren Interviews mit SRF.

Whistleblower dokumentierte Missstände

Was in einer grossen Enttäuschung und in einer Kündigung mündete, begann im Dezember 2019. Der Whistleblower sammelte und dokumentierte über Monate Vorwürfe gegen den Leiter der Herzchirurgie, Francesco Maisano, und übergab die Dokumente am 12. Dezember der Spitalleitung. Es geht um geschönte Berichte, Interessenskonflikte und die Patientensicherheit. Über vier Wochen später, am 16. Januar, wird der Whistleblower darüber informiert, dass eine Anwaltskanzlei die Vorwürfe untersucht. Alles scheint seinen Weg zu nehmen.

Doch nur vier Tage später wird der Whistleblower zu einem Gespräch mit dem Leiter Human Resources eingeladen und dem völlig überraschten Whistleblower eine bereits vorunterschriebene «Vereinbarung zum Sabbatical» unterbreitet. Drei Monate Auszeit, sofort.

Whistleblower soll Auszeit nehmen

Ausgerechnet der Whistleblower soll nun pausieren. Er, der auf Missstände hingewiesen hat. «Das konnte ich nicht akzeptieren. Wenn ich jetzt plötzlich von der Bildfläche verschwunden wäre, hätte das sofort den Eindruck erweckt, dass ich Probleme oder Fehler verursacht hätte.» Der Whistleblower unterschreibt das Dokument nicht.

Zwei Wochen später weist das Unispital den Whistleblower an, die mandatierte Anwaltskanzlei bei ihrer Untersuchung bezüglich Francesco Maisano «kooperativ zu unterstützen». Der Whistleblower verhält sich laut seinen Aussagen kooperativ und meldet weitere kritische Ereignisse.

Whistleblower mit Operationsverbot belegt

Francesco Maisano weiss inzwischen, dass gegen ihn eine interne Untersuchung läuft. Er reagiert: Am 25. Februar 2020 leitet er ein Kadermeeting. Unter dem Traktandum «Status Herzchirurgie» spricht Maisano eine Drohung aus: «Künftig wird es Konsequenzen haben, wenn Problematiken hinter meinem Rücken besprochen werden». Dies geht aus dem Protokoll hervor, das SRF vorliegt.

Die Konsequenzen folgen – für den Whistleblower: Die Spitaldirektion belegt ihn im April «per sofort» mit einem befristeten Operationsverbot, «aufgrund sehr besorgniserregender Informationen aus der Ärzteschaft», wie es im Schreiben heisst.

Kurz darauf legt ihm das Unispital eine Begründung für das Operationsverbot vor: Bei mehreren Patienten sei der Whistleblower verantwortlich für «schwere Komplikationen» und er hätte versucht, einen Operationsbericht nachträglich zu verändern.

Kündigung gegen Whistleblower

Doch wer erhebt diese Vorwürfe? Im Schreiben des Unispitals fällt nur ein Name: Francesco Maisano. Er gelangte laut dem Schreiben an die ärztliche Direktion und forderte diese auf, «dringliche Massnahmen» gegen den Whistleblower zu treffen – und hat Erfolg, das Operationsverbot wird verhängt.

Der Whistleblower wehrt sich nun juristisch dagegen, «denn alle Vorwürfe waren völlig aus der Luft gegriffen», sagt er. Doch das Unispital geht nicht darauf ein, sondern will den Whistleblower offenbar loswerden. Ihm wird gekündigt wegen «vollständiger Zerrüttung des Arbeitsverhältnisses» und «Leistungsschwächen». Er wird per sofort freigestellt und soll die «firmeneigenen Gegenstände, namentlich Personalausweis, Kleider sowie allfällige Forschungsunterlagen» abgeben.

Anwältin sieht Verstoss gegen Personalgesetz

Auf das rechtliche Gehör wie auch auf eine Bewährungsfrist «wird verzichtet», wie es in dem Kündigungsschreiben heisst. Doch damit verstösst das Unispital gegen das kantonale Personalgesetz wie auch gegen die Verfassung, sagt die Anwältin des Whistleblowers Martina Wagner Eichin: «Das ist ein massiver Verstoss gegen das Personalgesetz und auch gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der in der Bundesverfassung verankert ist. Zum einen wurde kein sachlicher Grund belegt, sondern es ist einfach eine blosse Behauptung, zum anderen wurde auch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt. Ich finde dieses Vorgehen des Unispitals absolut krass und inakzeptabel.»

Whistleblower wird wieder angestellt

Martina Wagner Eichin legt für den Whistleblower gegen die Kündigung Beschwerde ein. Schliesslich wird bekannt, dass der Whistleblower die Klinik verlassen soll. Kritik wird laut, das Vorgehen des Unispitals zum Teil scharf kritisiert. Der Druck nimmt zu.

Plötzlich nimmt ein ehemaliger Professor des Unispitals mit dem Whistleblower Kontakt auf und fragt ihn, ob er zurückkommen möchte. «Ich sagte, ja klar. Denn es gab parallel dazu hoffnungsvolle Entwicklungen», sagt der Whistleblower. Damit meint er die Beurlaubung des Klinikleiters, Francesco Maisano, denn die Untersuchung hat die Vorwürfe gegen ihn zum Teil bestätigt: So habe Maisano beispielsweise Eingriffe mit selbst entwickelten Implantaten beschönigend dargestellt, heisst es im Bericht.

«Toxisches Arbeitsklima» in der Herzchirurgie

Nach der Wiederanstellung im Sommer 2020 verlangt der Whistleblower, der wieder als leitender Arzt arbeitet, ein Zwischenzeugnis. Dieses ist voll des Lobes: Er habe ein «hohes Pflichtbewusstsein», seine Operationsergebnisse seien «hervorragend», sein Umgang «jederzeit freundlich, respektvoll und wertschätzend». Doch intern regt sich Widerstand gegen die Wiedereinstellung, es wird gegen ihn Stimmung gemacht. In einer Whatsapp-Nachricht steht: «Er ist seit Mittwoch wieder da und macht nur Probleme und provoziert nur.»

Ärzte verfassen ein Schreiben und wenden sich damit direkt an die Spitaldirektion: Sie können die Wiedereinstellung «nicht nachvollziehen». Es herrsche eine Stimmung des «Misstrauens». Auch anonym wird der Whistleblower jetzt angeschwärzt: In einem Mail wird ihm vorgeworfen, er behandle Patientinnen und Patienten «nicht mit der gebotenen Sorgfaltspflicht», als leitender Arzt sei das «unverantwortlich». Zudem sei er verantwortlich für ein «toxisches Arbeitsklima» in der Herzchirurgie.

Whistleblower soll wiederum gekündigt werden

Das Unispital geht auf die geäusserte Kritik ein, obwohl es den Whistleblower eben noch in den höchsten Tönen lobte. Am 14. August schreibt der Spitalrat, dass mit dem Whistleblower bis am 21. August eine «einvernehmliche Auflösung der Arbeitsverhältnisse auszuhandeln ist».

Doch der Spitalrat ist das oberste Organ des Unispitals und zuständig für Rekursbehandlung im Personalbereich. Wenn sich also ein Mitarbeiter wie der Whistleblower gegen eine Kündigung wehrt, muss er sich mit seiner Beschwerde an den Spitalrat wenden. Doch in diesem Fall mischte sich der Spitalrat in das Personalverfahren ein. Den Rekurs kann der Spitalrat also nicht mehr behandeln. Ihm fehlt in diesem Geschäft die Unabhängigkeit.

Die Konsequenz: der Whistleblower verliert eine Beschwerdeinstanz. Martina Wagner Eichin kritisiert dieses Vorgehen: «Ich möchte darauf hinweisen, dass das Unispital Zürich nicht irgendetwas ist, sondern eine öffentlich-rechtliche Anstalt des Kantons. In dem Sinn ist sie verpflichtet, sich als staatliches Organ gesetzmässig zu verhalten, das Unispital kann nicht einfach machen, was sie will.»

Brisant: Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich führt im entsprechenden Zwischenentscheid, der SRF vorliegt, aus: Mit der Einmischung ins Personalverfahren ging der Spitalrat verfassungswidrig vor. Der Fall ist hängig.

Unispital: «Keine Kündigung aufgrund Whistleblowing»

Inzwischen ist es über ein Jahr her, seit der Whistleblower die Missstände gemeldet hat. Sein Fazit heute ist vernichtend: «Ich würde es wieder tun, ich weiss nicht, wie ich es anders tun sollte. Ich würde es niemandem direkt empfehlen, weil die Konsequenzen absolut fatal sind.»

Das Universitätsspital (USZ) wurde von SRF für ein Interview angefragt und mit den Kritikpunkten konfrontiert, lehnte dieses jedoch ab, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt. Es hält aber schriftlich fest: «In der Sache selbst halten wir klar fest, dass am USZ keine Kündigungen ausgesprochen werden aufgrund von Whistleblowing. Es können jedoch personelle Konstellationen bestehen oder sich solche ergeben, die das Patient*innenwohl und die Fürsorgepflicht in Bezug auf unsere Mitarbeitenden betreffen, die personalrechtliche Massnahmen nach sich ziehen müssen. Derartige Entscheide erfolgen im USZ nach einer Güterabwägung, die immer auch das Wohl der Patient*innen sowie die Mitarbeitenden und ihre Zusammenarbeit miteinschliessen.»

10vor10, 14.01.2021, 21.50 Uhr

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