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Wie tödlich ist Covid-19? «Makabres Spitzenjahr»: Hohe Übersterblichkeit in der Schweiz

Die Übersterblichkeit ist ein Indikator dafür, wie schwer Corona die Schweiz trifft. Die Zahlen sind alarmierend.

«Herdenimmunität», «Positivitätsrate», «Reproduktionszahl»: Mit der Pandemie halten ungewohnte Wortschöpfungen Einzug im allgemeinen Sprachgebrauch. In unterkühlt-wissenschaftlichem Ton beschreiben sie die Corona-Lage der Nation.

Einen äusserst sensiblen Bereich tangiert die «Übersterblichkeit»: Mit diesem Wert lässt sich am ehesten beantworten, wie tödlich Covid-19 ist. Er vergleicht die Todesfälle vor und während der Pandemie – ungeachtet der jeweiligen Todesursache.

Wir erleben wegen Corona ein makabres Spitzenjahr.
Autor: Thomas Häusler Wissenschaftsredaktor von SRF

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weist bis Dienstag insgesamt 6332 Todesfälle in der Schweiz und Liechtenstein aus, bei denen der oder die Betroffene mit dem Coronavirus infiziert war.

Die Frage bleibt: Sterben in diesem Jahr wirklich signifikant mehr Menschen als in anderen Jahren? «Leider eindeutig ja», sagt SRF-Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler. «Von Anfang Jahr bis Woche 49 sind fast 4500 Menschen mehr gestorben als im gleichen Zeitraum 2015.»

Häusler wählt den Vergleich mit 2015, weil damals eine besonders schwere Grippe und eine Hitzewelle im Sommer für aussergewöhnlich viele Todesfälle sorgten. «Trotzdem starben 2020 deutlich mehr Menschen. Wir erleben wegen Corona ein makabres Spitzenjahr», so sein trauriges Verdikt.

Covid-Patientin in Tessiner Spital.
Legende: Die schwere Grippewelle von 2015 kostete schätzungsweise 2500 Menschen das Leben. Corona bisher mehr als doppelt so viel – und die Pandemie ist noch nicht überstanden. Keystone

Während der ersten Corona-Welle im Frühjahr gab es eine deutliche Übersterblichkeit. Nun, während der zweiten Welle, schlägt die Kurve erneut nach oben aus:

Die Sterbezahlen des BAG werden immer wieder infrage gestellt. Man müsse unterscheiden, ob jemand am oder mit dem Virus gestorben sei, so die These. Zu viele Todesfälle würden in die Covid-Opferbilanz einfliessen.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Zahlen zur Übersterblichkeit von einer anderen Quelle kommen, nämlich von den Zivilstandsämtern zum Bundesamt für Statistik (BfS). Und: Die bisherige Übersterblichkeitsanalyse weist gar keine Todesursache aus. «Man sieht einfach, dass 2020 viel mehr Menschen sterben, und zwar vor allem über 65-Jährige. Also in der Alterskategorie, in der die allermeisten sind, die an Covid-19 sterben», erklärt Häusler.

Unrühmlicher Spitzenplatz der Schweiz

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Die Schweiz wird international als Land mit besonders vielen Corona-Toten aufgeführt. Laut dem europäischen Verbund Euromomo gilt das auch für die Übersterblichkeit: Die Schweiz wird im ganzen November in der Kategorie mit «ausserordentlich hoher Übersterblichkeit» aufgelistet. «Letzte Woche lag die Schweiz eine Kategorie tiefer. Wir sind aber immer noch mit an der unrühmlichen Spitze», sagt Häusler.

Zwar leben in der Schweiz etwa im Vergleich mit afrikanischen Ländern mehr ältere Menschen. In diesen Ländern ist die Sterblichkeit durch Corona viel tiefer als bei uns. Aber: «Auch unter Ländern mit einer ähnlichen Alterstruktur schneidet die Schweiz in der zweiten Welle nicht mehr gut ab.»

Die Zahlen des BAG stammen von den Todesfällen, bei denen die Betroffenen einen positiven Coronatest hatten und an Covid-19 erkrankt waren. «Nun stimmt es: Viele dieser Menschen waren alt und hatten eine Vorerkrankung. Aber meistens war die Infektion mit dem Virus der Auslöser des Todes», so Häusler weiter.

«Versteckte» Corona-Tote

Es gebe eine «kleine Grauzone», in der es schwierig sei, die letztendliche Todesursache anzugeben, «Aber die gibt es auch in der anderen Richtung: Menschen, die an Corona sterben, ohne je getestet worden zu sein.» Etwa solche, die zu Hause starben, ohne getestet worden zu sein.

Verschiedene Studien haben dies bei der ersten Welle untersucht, indem sie die Übersterblichkeit mit den offiziellen Corona-Toten verglichen haben. «Zum Beispiel in Norditalien oder Spanien gab es viele solche ‹versteckten› Corona-Toten», erklärt Häusler. Und auch in der Schweiz könne es solche Fälle geben.

Covid-Patient in Tessiner Spital
Legende: Um exakt beantworten zu können, wie tödlich Covid-19 ist, brauchen Experten noch Zeit. Sie warten auf die Daten aus den Zivilstandsämtern, in denen die Ursache für jeden Todesfall ausgewiesen ist. Keystone

Laut BfS geben die internationalen Regeln vor, dass für die Statistik jeweils eine Ursache ausgewählt werden muss. Bei Menschen mit Vorerkrankung, die nach einer Covid-Infektion gestorben sind, kann dies erschwert sein. «Aber die meisten Experten sagen: Letztlich sollte man alle mitzählen, die zum Zeitpunkt des Todes mit dem Virus infiziert waren. Denn einen Anteil am Tod hatte es», so Häusler.

Nachtrag Bevölkerungswachstum und Übersterblichkeit

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Im Artikel wurde das Schweizer Bevölkerungswachstum nicht berücksichtigt. Ein Versehen, für das wir uns entschuldigen. Was im Artikel im Gegensatz zum Beitrag im Echo der Zeit vom 22. Dezember aus Kürzungsgründen ebenfalls nicht erwähnt wurde, ist, dass in der Schweiz pro Jahr etwa 500 mehr Menschen sterben, weil es immer mehr ältere Personen gibt.

Korrigiert man die Sterbezahlen aus 2015 grob für Bevölkerungsentwicklung (letzte offiziell erhältliche Zahl vom Bundesamt für Statistik BfS von 2019: 8,61 Millionen, 2015: 8.33 Mio.), so verringert sich der Unterschied zwischen 2020 und 2015 auf 2340 (statt 4500 wie ursprünglich angegeben).

Damit liegt die Zahl immer noch deutlich über der korrigierten Sterbefallzahl aus einem Jahr, in dem eine schwere Grippewelle und eine Hitzewelle die Todeszahl signifikant erhöht hatte.

Extrapoliert man grob bis Ende Jahr 2020 – so werden voraussichtlich noch einmal 1500 bis 2000 «überzählige» Todesfälle dazu kommen – denn die Wochen 49-53 von 2015 wiesen durchschnittliche Todeszahlen aus und aufgrund der aktuellen Lage ist jetzt mit einer erhöhten Zahl bis Ende Jahr zu rechnen – laut Zahlen des BfS für die letzten 3.5 Wochen pro Woche zwischen 400 und 500 Todesfälle. Damit ist man etwa wieder beim Unterschied, wie er im Artikel erwähnt ist. Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei, je nach Verlauf der Fallzahlen ist mit zusätzlicher Übersterblichkeit zu rechnen.

Echo der Zeit vom 22.12.2020, 18 Uhr ; 

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