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Wiederaufbau in der Ukraine Cassis: «Verzicht auf Konferenz wäre ein schreckliches Signal»

  • Aussenminister Ignazio Cassis hat gemeinsam mit der Tessiner Regierung einige Eckpunkte der Ukraine-Konferenz in Lugano von Anfang Juli umrissen.
  • Am Ende der Aufbaukonferenz solle die sogenannte «Deklaration von Lugano» verabschiedet werden.
  • Die Ukraine Recovery Conference vom 4. und 5. Juli in Lugano sei der «Schweizer Beitrag» an die Stabilität Europas und der Welt, sagte Cassis.

Bringt eine Wiederaufbau-Konferenz etwas, wenn der Krieg noch nicht zu Ende ist? Diese Frage war in den letzten Wochen häufig zu hören. Für Bundespräsident Ignazio Cassis ist klar: Auf die Konferenz zu verzichten, wäre ein fürchterliches Signal gewesen gegenüber den Ukrainern wie auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft – als ob man nicht mehr an die Existenz der Ukraine glauben würde. Deshalb sei der Anlass in Lugano sehr wichtig.

Ein Verzicht hätte so ausgesehen, wie wenn man nicht mehr an die Existenz des ukrainischen Staates glauben würde.
Autor: Ignazio Cassis Bundespräsident

Nicht realistisch wäre laut Cassis, den Wiederaufbau der Ukraine bereits detailliert regeln zu wollen. Aber man könne gewisse Leitplanken setzen und Ziele festlegen: «Auf der Traktandenliste stehen insbesondere die Prioritäten, Methoden und Prinzipien. Ohne Eckwerte kann man keinen Plan machen.»

«Deklaration von Lugano» geplant

Zum Abschluss der Konferenz will Cassis zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski eine «Deklaration von Lugano» mit den wichtigsten Ergebnissen der Konferenz verabschieden.

Hochfliegende Ziele, kleinkarierte Kritik

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Kurzeinschätzung von Urs Leuthard, Leiter Bundeshausredaktion von Fernsehen SRF:

«Die Ukraine-Konferenz von Anfang Juli in Lugano hat hochfliegende Ziele: Nichts weniger als den Wiederaufbau der Ukraine will man orchestrieren, ein Vorhaben, das viele Hundert Milliarden Franken kosten wird. Mit dem Verweis auf den Marshall-Plan, den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, hat Bundespräsident Cassis die Erwartungen noch etwas mehr nach oben geschraubt.

Gemessen an diesen Ansprüchen dürfte die Ukraine-Konferenz eine Enttäuschung werden. Denn genau wie der Marshall-Plan, für den es mehrere Anläufe und Konferenzen brauchte, wird auch der Wiederaufbau der Ukraine nicht am 5. Juli in Lugano in Stein gemeisselt sein. Zu verschieden sind die Interessen. Und je länger der Krieg dauert, desto volatiler wird die Interessenlage sein.

Trotzdem ist die Kritik an der Konferenz aus verschiedenen politischen Lagern kleinkariert und, um es mit einem gutschweizerischen Wort zu sagen, bünzlig. Dass Bundespräsident Cassis die seit langem geplante Reform-Konferenz nach Ausbruch des Krieges mit Wiederaufbauplänen ergänzt hat, war zwingend. Die Konferenz in Lugano kann realistischerweise nicht mehr als den Grundstein legen für ein koordiniertes Vorgehen zwischen Staaten und internationalen Organisationen – das wäre mehr, als manch andere internationale Konferenz in den letzten Jahren erreicht hat.»

Im Vorfeld wurde viel darüber spekuliert, ob der ukrainische Präsident persönlich nach Lugano reisen wird und wie hochkarätig die westlichen Staaten vertreten sein werden. Laut Cassis bringen solche Spekulationen zwei Wochen vor Konferenzbeginn nichts: «Wie immer bei solchen Anlässen werden wir bis wenige Stunden vor Beginn grosse Flexibilität zeigen müssen, um auch späte Anmeldungen zu berücksichtigen.»

EDA: Reformprozess anstossen

Zentral ist für das Schweizer Aussendepartement: Der Wiederaufbau muss Hand in Hand gehen mit einem politischen Reformprozess in der Ukraine. Dies betont EDA-Sonderbotschafter Simon Pidoux. Das habe auch die Ukraine verstanden. Fortschritte in den Bereichen Korruptionsbekämpfung, Dezentralisierung und gute Regierungsführung. Dazu sollen – so die Hoffnung der Schweizer Diplomatie – in Lugano die ersten Weichen gestellt werden.

Rendez-vous, 20.06.2022, 12:30 Uhr

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