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Hier muss erschwinglicher Wohnraum Platz machen für Luxus-Ferienwohnungen
Aus Regionaljournal Graubünden vom 20.06.2022. Bild: Engadiner Post/Daniel Zaugg
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Wohnungsnot im Engadin Weil Ferienwohnungen boomen, verlieren Einheimische ihr Zuhause

In Celerina trifft es 22 Mieter und Mieterinnen. Sie müssen ausziehen, weil Luxus-Ferienwohnungen lukrativer sind.

Mietpreise, die durch die Decke gehen und Einheimische, die kaum eine zahlbare Wohnung finden: Alltag im Engadin. Ein Grund sind ältere Mietwohnungen, die vom Markt verschwinden, weil sie in lukrative Ferienwohnungen umgewandelt werden.

Ein aktueller Fall in Celerina zeigt die Dimension dieses Zweitwohnungsbooms. Betroffen ist ein Mehrfamilienhaus mit 22 Mietwohnungen. Alle Mieterinnen und Mieter müssen ausziehen und verlieren ihr Zuhause. Das zeigen Recherchen des «Regionaljournal Graubünden» von Radio SRF und der «Engadiner Post/Posta Ladina».

«Für die Mieterinnen und Mieter wird sich nichts ändern»

Das Mehrfamilienhaus «Chesa Faratscha» steht am Dorfrand von Celerina. Ende April erfuhren die Mieterinnen und Mieter per Brief, dass die Zentralschweizer Immobilienfirma «Neue Haus AG» die neue Besitzerin sei. Im Brief hiess es weiter, für die Mieter und Mieterinnen werde sich nichts ändern.

Anfangs Monat meldete sich die neue Besitzerin persönlich bei der Mieterschaft und lud zu einem Treffen ein. Doch statt einem freundlichen Vorstellungs- und Kennenlerngespräch gab es eine Hiobsbotschaft: Das 30-jährige Mehrfamilienhaus werde saniert und umgebaut. «Es ist geplant, die Wohnungen im absoluten High-End-Segment zu erstellen und sodann zu verkaufen», heisst es in einem Dokument.

Das «Regionaljournal Graubünden» hat mit mehreren Mieterinnen und Mietern gesprochen, die aus Angst vor Nachteilen im kleinräumigen Engadin anonym bleiben wollen.

Luxus-Ferienwohnungen statt erschwinglichem Wohnraum

Wo heute der Kinderspielplatz ist, soll künftig ein geheizter Swimmingpool stehen. Neben Weinkeller, Spa, Fitness und Wellness will die Immobilienfirma die Zahl der Wohnungen von 22 auf 14 reduzieren.

Simon Vlachos ist der Geschäftsführer der «Neue Haus AG». Die Umbaupläne seien weit fortgeschritten, das Baugesuch werde in den nächsten Wochen eingereicht.

Wir sind mit jedem Mieter zusammengesessen und haben individuelle Lösungen gefunden.
Autor: Simon Vlachos Geschäftsführer «Neue Haus AG»

Wenn es nach den Plänen der Immobilienfirma «Neue Haus AG» geht, soll die Mieterschaft bis nächsten Frühling ausgezogen sein. Bei den persönlichen Treffen letzte Woche schlug die Firma den Mieterinnen und Mietern deshalb eine fünfseitige, schriftliche Vereinbarung vor:

Wer bis am 31. März 2023 ausziehe und darauf verzichte, die Baubewilligung anzufechten, erhalte finanzielle Unterstützung. Übernommen würden die Kosten für den Umzug und der Mietzins werde ab sofort reduziert. Vor allem aber engagiere man lokale Immobilienprofis, die beim Suchen einer neuen Wohnung im Engadin helfen würden. So steht es in der Vereinbarung, die Radio SRF mehrfach vorliegt.

Trotz Zweitwohnungsgesetz möglich

Box aufklappen Box zuklappen

Neue Ferienwohnungen dürfen in der Schweiz nur gebaut werden, wenn der Zweitwohnungsanteil tiefer als 20 Prozent ist. Das gilt seit dem Ja zur Zweitwohnungsinitiative im Jahr 2012. Doch es gibt eine Ausnahme: Häuser, die vor der Abstimmung gebaut wurden, gelten als sogenannt altrechtlich. Sie dürfen weiterhin zu Zweitwohnungen umfunktioniert werden. In verschiedenen Engadiner Gemeinden ist der Zweitwohnungsanteil in den letzten Jahren deshalb gestiegen. Haupttreiber ist der Immobilienmarkt: Für Zweitwohnungen werden deutlich höhere Preise bezahlt.

«Wir sind mit jedem Mieter zusammengesessen und haben individuelle Lösungen gefunden», sagt im Gespräch mit Radio SRF der Chef der Immobilienfirma. Unklar bleibt, wie viele Parteien eine Vereinbarung unterschrieben haben. Während Vlachos sagt, man habe sich bereits mit «sehr vielen Leuten» geeinigt, widersprechen mehrere Mieter und Mieterinnen. Mindestens 13 von 22 Parteien hätten die Vereinbarung nicht unterschrieben.

Vereinbarung nur wenige Tage gültig

Unterschiedlich sind auch die Aussagen bezüglich der Gespräche letzte Woche. Mehrere Mieter und Mieterinnen erzählen vom Schock, als am vermeintlichen Vorstell- und Kennenlerngespräch plötzlich drei Männer gegenüber gesessen seien – neben dem Firmenchef ein weiterer Mitarbeiter und ein Anwalt.

Nach einer freundlichen Ermunterung, die Vereinbarung zu unterzeichnen, sei der Ton direkter geworden. Nach dem Gespräch habe es Telefonate und Mails gegeben, mit der Bitte, die Vereinbarung doch noch heute unterzeichnet vorbeizubringen. Wurde die Mieterschaft unter Druck gesetzt, beispielsweise mit einer Frist von zwei Tagen? Simon Vlachos weist diesen Vorwurf zurück: «Das ist nicht korrekt». Die Frist für die Unterzeichnung sei bei mehreren Mietern bereits verlängert worden.

«Keinen Anspruch auf Vermittlungserfolg»

Bis jetzt gibt es keine Kündigungen. Die Immobilienfirma hofft darauf, mit allen eine Einigung zu finden. Bei der Mieterschaft sind der Ärger und die Verzweiflung gross. Sie alle wissen, wie schwierig es im Engadin ist, zahlbare Wohnungen zu finden.

Und auch wenn sie die Vereinbarung unterzeichnen, eine Garantie auf eine neue Wohnung gibt es nicht. Auch dies hat die Immobilienfirma fein säuberlich festgehalten. In der Vereinbarung heisst es: «Die Mieterschaft nimmt zur Kenntnis, dass kein Anspruch auf Vermittlungserfolg besteht».

Regionaljournal Graubünden, 17:30 Uhr, 20.06.2022

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