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Fragen und Antworten «Welche Krankheiten können mit Gehirnchips behandelt werden?»

Experten der Neurotechnologie haben von 11 bis 13 Uhr Ihre dringendsten Fragen beantwortet.

Elon Musks Neurotechnologiefirma Neuralink hat Anfang Jahr zum ersten Mal ihr Gehirnimplantat bei einem Menschen eingesetzt. Ziel des Projekts ist, dass ein Mensch nur durch seine Gedanken einen Computer oder ein Smartphone bedienen können soll. Davon sollen gelähmte Menschen dereinst profitieren.

Elon Musk ist jedoch nicht alleine: Weltweit forschen verschiedene Teams und Start-ups an der Hirnchip-Technologie. Wie weit ist diese schon? Was wäre durch diese Technologie alles möglich? Ist vorstellbar, dass eines Tages alle Menschen einen Chip im Hirn haben werden?

Die SRF-Rubrik Was wäre, wenn ...?

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In der multimedialen Rubrik «Was wäre, wenn …?» leuchtet SRF Zukunftsszenarien aus. In einem Gedankenexperiment wird eine radikale oder unerwartete Entwicklung durchgespielt. Dieser Ansatz soll helfen, besser zu verstehen, was in der Zukunft geschehen könnte. SRF begleitet das jeweilige Thema rund 24 Stunden online, am Radio und im TV. Dabei werden Zuschauerinnen und User eingeladen, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.

Alle Artikel, Expertenchats und Videos der Rubrik «Was wäre, wenn …?» finden Sie hier.

Haben Sie weitere Ideen für Zukunftsszenarien, die SRF beleuchten soll? Schicken Sie uns gerne Ihren Input an  communities@srf.ch.

Experten aus den Neurowissenschaften und der Digitalisierung haben dazu Ihre Fragen beantwortet.

Gäste im News-Chat

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Wolfgang Knecht
Neurowissenschaftler
Zentrum für Neurowissenschaften Zürich, Universität Zürich

Friedhelm Hummel
Neurologe und Professor für klinisches Neuroengineering
Neuro-X Institute, ETH Lausanne

Guido Berger
Leiter SRF Digital

Chat-Protokoll

Was ist Neuroengineering? Das gleiche wie Neurotechnologie oder ein Teilbereich? Oder wie sind diese Studien aufgebaut?

Wolfgang Knecht: Neuroengineering ist die wissenschaftliche Disziplin selbst und Neurotechnologie ist ein möglicher Output dieser Forschergemeinde.

Danke für Ihre Zeit. Ich lese im Anwendungsbereich von gelähmten Personen, ist es denkbar, mit Chips auch Alzheimer oder Depressionen zu behandeln? Oder wie funktionieren solche Krankheiten?

Wolfgang Knecht: Die Ursachen von Alzheimer sind weiterhin unklar. Daher ist es momentan auch unklar, wie man mit solchen Chips die Krankheit behandeln könnte. Es gibt aber Ideen, wie z. Bsp. die Schlaftiefe durch Stimulation künstlich zu erhöhen. Das ist momentan Gegenstand der aktuellen Forschung.

Werden solche Chips auch schon bei Tieren eingesetzt und wofür genau? Wäre es denkbar, dass wir so einst mit unseren Haustieren kommunizieren könnten?

Guido Berger: Gerade in klinischen Tests werden solche Chips in der Regel natürlich zuerst bei Versuchstieren implantiert, Affen beispielsweise. Das bedeutet, dass man wohl bei einer sehr fortgeschrittenen Technologie auch weiss, wie man die bei Tieren implantiert. Um dann aber kommunizieren zu können, müsste man ja noch viel mehr verstehen. Wie beispielsweise Hunde denken und kommunizieren, um das dann hin- und herübersetzen zu können. Ich wäre da also eher skeptisch.

Wie muss man sich das vorstellen, wie Gehirnchips mit dem Hirn oder dem Nervensystem kommunizieren?

Friedhelm Hummel: Es werden Elektroden auf das Gehirn gelegt oder eingepflanzt, die die Hirnaktivität messen können. Diese kann man dann analysieren und nutzen, um beispielsweise eine Prothese, einen Cursor auf dem Bildschirm oder die Stimulation des Rückenmarks bei einem Querschnittsgelähmten zu steuern.

Wann haben ETH und Uni Zürich oder generell Schweizer Unis mit Neurotechnologie angefangen? Wie etabliert sind diese Bereiche?

Wolfgang Knecht: An ETH und UZH schon seit mindestens 25 Jahren. Als eine der ersten erfolgreichen Anwendungen wurden hier in Zürich Cochlea-Implantate mitentwickelt und auch implantiert.

Muss man sich bei Gehirnchips eigentlich auch fragen zum Datenschutz stellen?

Friedhelm Hummel: Datenschutz spielt und muss im klinischen, wissenschaftlichen Bereich immer eine grosse Rolle spielen, insbesondere bei persönlichen Daten, die wie ein Fingerabdruck sind. Damit auch bei Hirnaktivitätsdaten, die mit entsprechenden Chips ausgelesen werden können.

Begegnet Ihnen in der breiten Bevölkerung viel Skepsis? Eingriffe in den Körper + die vielen Verschwörungstheorien der letzten Jahre rund um Chips klingt so, als würde sich fast niemand freiwillig so etwas einsetzen.

Friedhelm Hummel: Nein, ich kann das im Rahmen unserer Studien nicht feststellen. Ich denke, was sehr wichtig ist, ist Patienten und Versuchsteilnehmer sehr klar und verständlich darüber aufzuklären, was man macht, und genug Zeit mitzubringen, um Fragen zu beantworten. Natürlich klingt z. Bsp. Hirnstimulation für eine Person, die nicht aus dem Feld ist, immer ein wenig sonderbar und beängstigend. Wenn man aber diese Fragen ernsthaft adressiert, ist diese Angst schnell genommen. Natürlich gibt es immer wieder vereinzelte Verschwörungstheoretiker, die wissenschaftlichen Fortschritt als Bedrohung sehen. Dem kann man nur mit Transparenz und Aufklärung begegnen.

Welche medizinischen Anliegen können derzeit mit Gehirnchips oder ähnlichem behandelt werden? Obwohl faszinierend, lese ich meistens nur von «Spielereien» als Cyborgs, z. B. um im Supermarkt zu zahlen.

Friedhelm Hummel: Erste Ansätze werden genutzt, um bei Patienten, die nicht mehr kommunizieren können (z. Bsp. bei Amyotropher Lateralsklerose – ALS -, einer degenerativen Erkrankung des motorischen Systems), die Kommunikation mit Brain-Computer-Interfaces zu ermöglichen. Oder zur Verbesserung der motorischen Funktionen bei Querschnittsgelähmten, wo die Hirnaktivität während der Intention einer Bewegung ausgelesen wird und damit die elektrische Stimulation des Rückenmarks mit folgender Bewegung orchestriert wird.

Ist Neuralink das grösste Unternehmen in diesem Bereich? Oder welche gibt es noch und wie weit sind Unis selbst in dieser Forschung tätig?

Wolfgang Knecht: Neuralink ist sicher das bekannteste Unternehmen in der letzten Zeit. Was private Unternehmen so alles in ihren Labors erforschen, ist nicht immer bekannt. Es kann durchaus sein, dass hier auch andere noch sehr aktiv sind.

Was waren bspw. die schlussendlichen Entwicklungskosten des Neuralink-Chips? Wie teuer könnte der Chip + chirurgisches Einsetzen dereinst sein?

Guido Berger: Neuralink hat in den ersten Jahren seit der Gründung ca. 160 Millionen Dollar Investitionskapital erhalten. Aktuell seien ca. 300 Personen angestellt. Verkauft haben sie noch nichts, was die Operation beim ersten menschlichen Patienten gekostet hat, ist meines Wissens nicht bekannt. Zum Vergleich: Ein Cochlea-Implantat kostet über 50'000.-. Natürlich gibt es auch Forschung, die günstige Alternativen anstrebt, aber ich würde hier eher von einem sehr teuren Gerät und einer teuren Operation ausgehen.

Danke für Ihre Zeit. In welchem Bereich des Hirns werden solche Chips implantiert? Wie funktioniert so ein Vorgang des Befestigens eines solchen Chips? Freundliche Grüsse

Friedhelm Hummel: Solche «Chips» werden in der Regel auf oder in die Hirnrinde implantiert. Man muss sich das wie eine wenige Zentimeter grosse Platte aus einem körperkompatiblen Material vorstellen, in welche eine Vielzahl von sehr kleinen Elektroden integriert sind, die die Hirnaktivität messen können. Natürlich muss dieser Chip mit einer Energieeinheit und einer Datentransfereinheit verbunden sein. Diese Chips werden über eine kleine Öffnung der Schädeldecke eingebracht. Klassische Implantate für die Stimulation sind die sogenannte Tiefenhirnstimulation (DBS), die regelmässig zur Behandlung der Parkinsonkrankheit eingesetzt wird. Hier wird eine dünne Elektrode in tiefgelegene Kerngebiete des Gehirns (z. Bsp. GPi, STN) eingebracht und über wenige Elektroden diese Hirngebiete stimuliert.

Wäre es auch möglich, solche Chips einzusetzen, die Wissen speichern, sodass wir Menschen alle hyperintelligent wären, alle Sprachen können etc. oder wie komplex wäre das?

Guido Berger: Wissen in Chips speichern können wir ja schon, auf unseren Smartphones etc. Das hat uns noch nicht automatisch hyperintelligent gemacht. Es ist deshalb völlig offen, was «Intelligenz» eigentlich genau bedeutet und welche Fähigkeiten so ein Chip haben müsste, um uns intelligenter zu machen. Der Fokus der Forschung liegt wohl mehrheitlich darauf, verlorene Fähigkeiten wiederherzustellen, nicht neue, zusätzliche oder bessere Fähigkeiten zu lernen.

Guten Tag. Wie weit ist die Forschung diesbezüglich für psychische Erkrankungen wie OCD und Depressionen?

Wolfgang Knecht: Bei beiden Erkrankungen wurde schon seit langer Zeit untersucht, ob elektrische Stimulation vorteilhaft ist: ohne durchschlagende Erfolge. Das hängt damit zusammen, dass man die eigentlichen Krankheitsmechanismen zu wenig versteht.

Wird es in der Zukunft wahrscheinlich sein, Wissensinhalte auf einen Chip zu laden, und dieses Wissen im Gehirn einzubauen? D.h ein Wegfall des klassischen Lernens im Sinne eines Auswendiglernen von Jahreszahlen oder schulischen Fakten.

Friedhelm Hummel: Ich denke, da sind wir noch relativ weit davon entfernt beim Menschen.

Guten Tag, ist es möglich mit einem Chip im Hirn auch epileptische Anfälle zu unterdrücken?

Friedhelm Hummel: Ja, wenn pharmakologische oder andere nicht-invasive Methoden nicht effektiv sind, kann dies in Betracht gezogen werden. Dabei werden Systeme unter der Schädeldecke eingesetzt, die mit Elektroden verbunden sind, die epileptische Aktivität im Gehirn erkennen können und darauf mit spezifischer elektrischer Stimulation reagieren, die dann die Auslösung eines Anfalles verhindern oder limitieren soll.

Wie weit ist die Parkinson-Forschung bezüglich Implantate für die alltagstaugliche tiefe Hirnstimulation?

Wolfgang Knecht: Sehr weit. Das ist eine Erfolgsstory.

Welche Bezeichnung wird international für diese Technologie und Forschung verwendet?

Guido Berger: Brain-computer interface oder brain-machine interface. Nicht immer ist damit ein Chip im Hirn gemeint (das ist ein sog. invasives BCI). Es gibt auch Forschung, die versucht, nicht-invasiv zu sein, also ohne Operation auszukommen.

Vielleicht eine falsch gestellte/nicht beantwortbare Frage, aber können sie abschätzen, zu viel % wir wissen, wie unser Gehirn funktioniert? Ist das etwas, das schwer zu fassen ist?

Friedhelm Hummel: Das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage, aber es gibt noch sehr, sehr viele offene Fragen, obwohl das Verständnis des Gehirnes und seiner Funktionsweise deutlich über die letzten 50 Jahre zugenommen hat.

Wie gross ist dieser Chip überhaupt? Warum wird er vom Hirn nicht als Fremdkörper abgestossen?

Guido Berger: Heute natürlich kleiner als früher, aber in etwa die Grösse einer Münze. Ob/wann/warum der Chip abgestossen wird und sich auch die «Fäden», die ihn mit dem Hirn verbinden, ablösen, oder ob sich die Signalqualität über die Zeit verschlechtert, hängt von ganz vielen Faktoren ab: wie genau operiert wird, welche Materialien verwendet werden – und auch von Medikamenten, um Abstossungsreaktionen zu bekämpfen. Ich würde sagen, da hat die Forschung noch keine definitiven Antworten parat.

Was werden die möglichen Risiken von Neuro-Chips sein? Sollte man nicht zuerst das Gehirn, das immer noch ein grosses Mysterium bleibt, genau verstehen, bevor man mit solchen Technologien «herumspielt»?

Wolfgang Knecht: In ferner Zukunft wird man damit vielleicht einmal Gedanken oder Absichten eines Menschen lesen können. Im Falle von Krankheiten wie ALS ist dies sicher sinnvoll, damit man mit der Person kommunizieren kann. Ein solcher «Superchip» bei Gesunden allerdings gibt mir schon ein mulmiges Gefühl. Dann wären «Gedanken nicht mehr frei» und vielleicht einsehbar für andere, je nachdem, wie gut der Datenschutz funktioniert.

Eine rein etymologische Frage: Was wäre, wenn es tatsächlich soweit kommen würde, dass Menschen und andere biologische Mechanismen mit Chips ‚geupgradet‘ würden? Wie würden solche Lebewesen bezeichnet werden? Homo Sapiens 2.0? Homo Sapiens Imperium? Homo Sapiens Auxilium?

Guido Berger: Homo sapiens kann heute schon Dinge, welche die Spezies vor 50'000 Jahren noch nicht konnte. «Geupgradet» sind wir eigentlich schon, wenn wir Brillen, künstliche Hüftgelenke, Prothesen oder Herzschrittmacher nutzen. Deswegen sind wir aber noch nicht eine andere Spezies. Ich finde eher die Frage spannend, ob eine solche Technologie überhaupt allen zur Verfügung stünde und welche gesellschaftlichen Folgen eine Trennung in Menschen mit und ohne Chip hätte.

Ist ein Missbrauch denkbar, z. B. dass dereinst Dank Implantatzwang autokratische Regierungen die totale Kontrolle erlangen? Oder ist dank Implantaten eine Zweiklassengesellschaft denkbar?

Guido Berger: Der Implantat-Zwang scheint mir eine weniger plausible Dystopie zu sein, weil das ein sehr teurer und komplizierter Weg ist, eine Gesellschaft zu kontrollieren, im Vergleich zu «einfacheren», schon heute bekannten Methoden wie Gewalt, Willkür, Propaganda etc. Die Dystopie einer Chip-erweiterten Klasse scheint mir plausibler. Ich stelle mir das aber nicht so vor, dass alle dann die gleichen Chips haben, mit den gleichen Fähigkeiten. Ich würde eher von vielen verschiedenen Implantaten ausgehen, alle mit unterschiedlichen Fähigkeiten, viele evtl. auch mit versprochenen Vorteilen und unbekannten Nachteilen, unbeabsichtigten Nebenwirkungen oder Effekten, die sich über die Zeit verändern. Und wohl unmoralische, aber verlockende Angebote wie «Du erhältst diese Vorteile gratis, dafür dürfen wir dich sanft manipulieren», à la Social-Media-Geschäftsmodell von heute.

Wäre es möglich, mehrere Hirnchips zentral zu steuern, sodass die Menschen zu Marionetten werden können? Das macht mir Angst. Ist wie in den Zukunftsfilmen von Hollywood. Zitat: «Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem die Technologie unsere Menschlichkeit übertrifft. Auf der Welt wird es nur noch eine Generation aus Idioten geben»

Guido Berger: Wenn die Chips mit einem Computer kommunizieren können, kann dieser Computer mit anderen sprechen bzw. gesteuert werden. Also ja, grundsätzlich ist es denkbar, das Verhalten von mehreren Menschen über so ein Interface zentral zu beeinflussen. Um Menschen in Marionetten zu verwandeln, müssen sie aber natürlich alle Chips im Kopf haben. Wenn man sich ein Regime ausmalt, das die Menschen dazu zwingen kann: Könnte dieses Regime nicht auch direkt die Leute zu bestimmtem Verhalten zwingen, statt den extrem komplexen und teuren Umweg über die Chips zu machen?

Ich kann mir das nicht vorstellen, alleine wenn ich z.B. weiss, dass man bei Arthrose immer noch nicht so viel über Knorpel weiss oder «fremde» Knorpel, die eingesetzt werden können, wieder abgestossen werden. Oder täusche ich mich, wie weit die Forschung in der Neurotechnologie schon ist?

Wolfgang Knecht: Das ist ein sehr guter Punkt. Wenn sie Arthrose besser heilen könnten, würde das extrem vielen Menschen zugutekommen. Wir haben bei der Neurotechnologie meiner Ansicht nach auch einen Hype. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass das Gehirn nach wie vor sehr geheimnisvoll ist.

Wo liegen die Gefahren für den Menschen? Fremdsteuerung usw.

Friedhelm Hummel: Wichtige Fragen hier für die Anwendung beim Menschen sind sicher eher im Bereich der Verträglichkeit der Materialien, Narbenbildung im Gehirn, Langzeitfunktionalität – Funktionsverlust, klinische Effizienz im Rahmen der Behandlung der Patienten, minimale Nebenwirkungen des chirurgischen Eingriffes als eines Risikos der Fremdsteuerung im Sinne einer Willenskontrolle etc.

Wird es mit Brainchips auch möglich sein, Gedanken zu beeinflussen?

Wolfgang Knecht: Ja. Durch elektromagnetische Stimulation kann man Verhalten beeinflussen.

Wie wäre dieser Chip für normale Personen verwendbar? Wäre es denkbar, dass man sich etwas wie hoch schicken könnte in Zukunft und das dauerhaft abspeichern kann, auch wenn der Chip wieder fehlen würde?(Sprachen oder sonstiges)

Wolfgang Knecht: Meiner Ansicht nach sind wir technisch noch sehr, sehr weit entfernt von solchen Möglichkeiten. Nur allein schon zu verstehen, wie das menschliche Gedächtnis funktioniert, ist bereits Gegenstand der Forschung seit vielen Jahrzehnten – mit nur mässigen Erfolgen.

Danke für Ihre Zeit. Was für eine Bandbreite ist von diesen Chips zu erwarten? Ein 5×5 cm Chip auf der äusseren Hirnrinde hat kaum Zugriff auf tiefere Schichten. Müsste man das ganze Hirn einpacken/unzählige feine Elektroden implantieren?

Guido Berger: Die real existierenden Chips setzen jeweils in einem bestimmten Bereich des Hirns an und messen dort Signale im Hirn. Dann werden diese Daten an ein externes Gerät übermittelt, das die Signale lesen und interpretieren muss. Es ist also nicht nur entscheidend, wo man «einstöpselt», sondern auch, wie man die gemessenen Daten interpretiert und übersetzt.

Können Smartphones und Computer bereits per Chip bedient werden?

Guido Berger: Ja, und auch ohne eingesetzten Chip, also nicht-invasive Geräte. Man muss sich auf etwas Bestimmtes konzentrieren (wie «Ich bewege die Maus nach oben»); das Gerät misst die dabei erzeugten Hirnströme; übermittelt und interpretiert sie; hoffentlich in die korrekte Bewegung. Es ist also immer Training erforderlich – Anwender müssen sozusagen lernen, welche Hirnströme sie erzeugen müssen, um das gewünschte Resultat zu erzielen; und das Gerät und die Software müssen die Hirnströme korrekt messen und richtig übersetzen. «Bedienen» heisst in der Regel aber nicht: «Ich denke mir etwas aus und der PC spuckt die fertige Powerpoint-Präsentation aus», sondern viel, viel simpler: Ich denke an eine Bewegung der Maus und der Mauszeiger bewegt sich tatsächlich.

Wie sieht es mit der Fähigkeit des Implantats aus, Updates zu erhalten? Ich stelle mir das als schwierig vor. Was mache ich in ein paar Jahren, wenn das Implantat nicht mehr aktualisiert werden kann?

Guido Berger: Früher waren die Implantate per Kabel an ein externes Gerät angeschlossen; heute übermitteln sie die gemessenen Daten kabellos. Entsprechend kann man auch in der umgekehrten Richtung mit dem Implantat kommunizieren und z. Bsp. auch Software aktualisieren. Die Frage ist eher, ob das Implantat in ein paar Jahren noch funktionsfähig ist – wie die verwendeten Materialien altern, wie sich Operationstechnik und Medikation auswirken usw.

Wenn das Implantat mit Gedanken gesteuert werden soll, ist das nicht ein riesengrosses Problem? Da doch bei vielen die Gedanken hin und her springen auch ungewollt ?! Kann man den Chip auch deaktivieren? Bei der Geschwindigkeit der hüpfenden Gedanken? Kann man blöde Gedanken rückgängig machen? Wohl ist der Chip ein Segen oder Fluch?

Guido Berger: Deshalb muss man bei heutigen Chips trainieren – man muss sich auf bestimmte Gedanken konzentrieren, wie «bewege einen Mauszeiger», die dabei erzeugten Hirnströme werden gemessen, interpretiert und umgesetzt. Es ist natürlich immer ein Ziel, diese Trainingszeit so kurz wie möglich zu halten. Aber ganz allgemein alles «lesen» zu können, was im Hirn so vor sich geht, ist nie das Ziel der tatsächlich existierenden Forschung. Das ist wohl noch eine ganze Weile lang eher im Bereich Science-Fiction anzusiedeln.

Wie ist der aktuelle Stand der Gesetzgebung bezüglich dem Datenschutz? Unterscheidet sich da ein Implantat von einem Smartphone?

Guido Berger: Die Hürden sind hier natürlich sehr hoch, weil es um einen operativen Eingriff geht. Was auch immer von so einem Chip übermittelt oder gespeichert wird, muss mit grösster Sorgfalt behandelt werden. Die gesetzlichen Grundlagen sind aber die gleichen. Die unterscheiden in der Regel nicht nach Gerät, sondern danach, welche Art von Daten gesammelt werden und wie persönlich die sind.

Bei dem Neuralink-Chip im Patienten schien sich der ja irgendwie gelöst zu haben wieder kürzlich. Was ist da passiert? Hat Sie das überrascht, dass das passiert?

Guido Berger: Etwa 85 % der Elektroden (der implantierte Chip hat 1024) sollen sich vom Hirn abgelöst haben und seien nicht mehr funktional, übermitteln also keine Daten mehr. Neuralink sagt, man könne den Rückschlag zumindest teilweise durch eine Anpassung der Software wettmachen. Das zeigt einfach, wie komplex das Unterfangen ist – es geht nicht nur um Software, sondern auch darum, die richtigen Materialien, Operationsmethoden und Medikamente zu finden. Und ein erster Erfolg heisst noch nicht eine dauerhafte Fähigkeit, weil sich das Implantat mit der Zeit anders verhalten kann. Ich würde behaupten, dass niemand, der in diesem Bereich forscht, von so einer Komplikation überrascht sein dürfte.

10 vor 10, 23.05.2024, 21:50 Uhr ; 

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