Chat-Protokoll:
Angenommen, die AfD würde in den nächsten Wahlen eine Mehrheit gewinnen und die Regierung Deutschlands bilden. Welche Folgen sehen Sie in so einem Fall für die Schweiz? Würden sich die Beziehungen durch «Germany-First» verschlechtern?
Alexandra Gubser: Obwohl ein unwahrscheinliches Szenario, würde die Schweiz sicher darunter leiden, wie auch alle anderen Nachbarstaaten. Unsere Volkswirtschaften sind eng verflochten. Wenn Deutschland sich auf sich selbst zurückzieht, Grenzen schliesst, Kooperationen beendet, dann würden sich die Beziehungen wohl verschlechtern.
Sie schreiben, «Deutschland leidet unter überbordender Bürokratie». Wer initialisiert diese Gesetze hauptsächlich – Brüssel (EU), Berlin (Bund) oder die Bundesländer und Kommunen?
Alexandra Gubser: Deutschland liegt zwar nicht im EU-Spitzenfeld bei Bürokratie (das wäre Tschechien). Aber das Land ist verkrustet. Laut der Bundesagentur für Arbeit wurden in den vergangenen 3 Jahren 550'000 neue Arbeitsplätze geschaffen, wovon mehr als die Hälfte, um die Bürokratie zu bewältigen. Die Regulierungswut hat hier gute Tradition, es gibt aberwitzige Vorschriften auf allen Ebenen. Diesen Bürokratiedschungel zu entflechten, hat sich noch jede Bundesregierung auf die Fahne geschrieben. Mit mehr oder minder mässigem Erfolg.
Was finden Sie sind die grössten Unterschiede zwischen Deutschen und Schweizern?
Alexandra Gubser: Wir sind uns sehr nah – und doch so fern. Die Deutschen sind sehr direkt. Sie sagen zum Beispiel an der Bartheke nicht: «Könnte ich bitte schön ein Bier haben?» Sondern sehr bestimmt «Ich kriege ein Bier!». Es ist alles etwas verkopfter hier, uns Schweizer empfinde ich als pragmatischer. Von der Bürokratie wollen wir jetzt gar nicht anfangen zu reden...
Wird die AfD mal Regierungspartei sein?
Alexandra Gubser: Meine Kristallkugel ist gerade in der Wäsche.... Aber im Ernst, das hängt vom Wählerwillen ab. Derzeit radikalisiert sich die AfD weiter, da ist es programmatisch und personell schwierig Koalitionspartner zu finden. Zum Vergleich: der Rassemblement National in Frankreich hat sich de-radikalisiert, um mehrheitsfähiger zu werden. Eine Strategie, die sich für den RN ausgezahlt hat.
Glauben Sie, ob die AfD eine Zukunft haben wird oder ob sie längerfristig verschwinden, oder wenigstens massiv an Bedeutung verlieren wird?
Alexandra Gubser: Sie hat Zukunft, die Zustimmungswerte sind hoch. So schnell wird die AfD nicht verschwinden, sie besetzt ein weites Feld im politischen Spektrum. An Bedeutung verlieren wird sie nur, wenn die etablierten Parteien es schaffen, konkrete Probleme zu lösen, denn Probleme sind die Währung der AfD, nicht Lösungen.
Deutschland steckt gerade in der Wirtschaftskrise. Wo sehen sie Potenzial, um aus dieser Krise zu kommen? Was müsste sich ändern?
Alexandra Gubser: Es muss vorwärts gehen bei der Digitalisierung (Berlin hängt mehrheitlich noch an Kupferkabeln), die Regulierungswut muss eingedämmt werden. Zum Beispiel gibt es einen Feuer-Brandschutz-Atlas. Ein 6-bändiges Werk mit 8580 Seiten.... Und es braucht Investitionen, Investitionen und Investitionen. In Infrastruktur, Klimaneutralität, etc., um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Man hört auch von Ihnen, dass sich die AfD weiter radikalisiere und die Empörung sozusagen die Währung der AfD sei. Woran machen Sie das ganz konkret fest und worin unterscheidet sich die AfD von unserer SVP in den politischen Forderungen? Und warum bindet die deutsche Demokratie die AfD nicht in die politische Willensbildung mit ein, wenn wir es hier mit der SVP auch ohne «Brandmauer» schaffen?
Alexandra Gubser: SVP und AfD sind nicht vergleichbar in ihrer Radikalität. Seit ihrer Gründung ist die AfD nach Einschätzung des Verfassungsschutzes immer weiter nach rechts gerückt. «Aufgrund der die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei», erachtet der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextremistisch. Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmässige Volksverständnis sei nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Festmachen lässt sich das an vielen Details. Die AfD steht für eine rassistische Politik, unterscheidet zwischen Deutschen und «Pass-Deutschen», sie verbreitet im Parteienvergleich am meisten Hassreden in den sozialen Medien, AfD-Politiker hetzen gegen Schwule und Lesben, gegen Queere und Transmenschen, sie greift die Meinungsvielfalt an. Die AfD wird nicht in die politische Willensbildung eingebunden, weil die Partei keine Kompromissfähigkeit erkennen lässt, nicht gemeinsam gestalten will. Das ist bei der SVP anders.
Wie sieht ein durchschnittlicher Tag für Sie aus? Gibt es überhaupt so etwas wie Normalität als Korrespondentin?
Alexandra Gubser: Eigentlich gibt es keine Normalität und ich weiss oft am Morgen nicht, wann und wo mein Tag endet. Das hängt einerseits von der Tagesaktualität ab, andererseits vom Interesse der Sendungen in Zürich.
Wie steht es um die deutsche Wirtschaft, wie steht das Land im Vergleich zu den angrenzenden Ländern da?
Alexandra Gubser: Eigentlich immer noch gut, die Staatsverschuldung liegt derzeit noch weit unter jener der Nachbarstaaten. Doch die Wirtschaft steckt nun im dritten Jahr der Stagnation. Für dieses Jahr rechnen Ökonomen mit einem weiterhin geringen Wachstum von 0,2 %. Deutschland leidet unter überbordender Bürokratie und langfädigen Prozessen. Die versprochene Wirtschaftswende der schwarz-roten Regierung mit echten Reformen lässt bislang auf sich warten.
Was können Sie zur Entwicklung der Linkspartei sagen, haben Sie das Gefühl, dass sie durch die vermehrte Polarisierung auch stärker wird?
Alexandra Gubser: Vielleicht weniger durch eine vermehrte Polarisierung als durch die Internet-Auftritte von Heidi Reichinnek. Sie konnte die jungen Menschen erreichen und mobilisieren. Durch die Abspaltung von Sahra Wagenknecht, die mit ihrem Bündnis eigene Wege geht, hat die Linke zu einem eigenen Profil zurückgefunden.
Google investiert 5.5 Milliarden Euro in Deutschland, auf SRF konnte ich dazu noch keine Analyse lesen. Was ist Ihre Einschätzung dazu?
Alexandra Gubser: Das ist ein Lichtblick in den derzeit düsteren Wirtschaftsaussichten. Es ist bislang das grösste in Deutschland geplante Investitionsprogramm, es sollen bis 2029 9000 Arbeitsplätze «gesichert» werden. Derzeit sind das hehre Vorhaben. Doch der Fall von Intel in Magdeburg zeigt, dass nichts in Stein gemeisselt ist. Intel hat sich notabene nach Milliardenzuschüssen von Bund und Land wieder zurückgezogen.
Wie schätzen Sie derzeit die deutsch-schweizerischen Beziehungen ein?
Alexandra Gubser: Die deutsch-schweizerischen Beziehungen sind traditionell gut, man begegnet sich auf Augenhöhe. Die beiden Länder sind wirtschaftlich stark verflochten, es gibt viele kulturelle Gemeinsamkeiten. Kanzler Merz betonte unlängst, die Schweiz sei der wichtigste Partner im Süden und er will unser Land demnächst besuchen.
Wie wahrscheinlich ist ein «Dexit?», also ein Austritt Deutschlands aus der EU? Wäre die EU dann überhaupt noch tragbar?
Alexandra Gubser: Unwahrscheinlich. Im Wahlprogramm der AfD ist die Forderung nach einem Dexit verschwunden. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge würde ein Dexit nicht nur fast 700 Milliarden Euro an Wertschöpfung kosten, sondern auch Millionen Arbeitsplätze in der Bundesrepublik vernichten. Ein Dexit wie auch ein Frexit würde das Gefüge der EU wohl sprengen.
Wo profitiert die Schweiz am meisten von Deutschland? Und wo umgekehrt?
Alexandra Gubser: Deutschland ist für die Schweiz ein wichtiger Exportmarkt. Die Schweiz profitiert stark von Direktinvestitionen, auch vom Zuzug deutscher Arbeitskräfte. Umgekehrt profitiert Deutschland davon, dass wegen der hohen US-Zölle, vermehrt Schweizer Unternehmen Teile der Produktion nach Deutschland verlegen.
Wirtschaftlich, zumindest wenn man den Daten und Berichten Glauben schenken mag, driften Deutschland und die Schweiz weiter auseinander. Während bei uns die Wirtschaft moderat wächst, stagniert beziehungsweise schrumpft diese in Deutschland – ganz besonders im Süden. Auch hat man das Gefühl, wächst in Deutschland vor allem der Staat. Blicken die deutschen Bürger nicht Wehmut und interessierten Blick, was wir anders machen?
Alexandra Gubser: Man schielt in Deutschland durchaus etwas neidisch auf die Schweiz. Bessere Löhne, höhere Lebensqualität machen die Schweiz zu einem Magneten für Deutsche. In Deutschland ist der Reformbedarf enorm, der Staat ist sehr träge geworden. Die Schweiz ist da agiler.
Erinnern Sie sich noch daran, was Deutschland bis in die Neunzigerjahre so erfolgreich gemacht hat, und können Sie den Hauptgrund benennen, warum das heute nicht mehr der Fall ist?
Alexandra Gubser: Es war eine Kombination aus einer mächtigen Industrie (Auto, Stahl), einer hervorragenden Infrastruktur (damals war die Deutsche Bahn noch pünktlich) und genügend Fachpersonal. Heute leidet die Industrie unter hohen Energiekosten, Personalengpässen und überbordender Bürokratie. Die Infrastruktur bröckelt, weil jahrzehntelang zu wenig investiert wurde und die Unternehmen finden nicht genügend Fachkräfte. Der überdurchschnittlich exportorientierten Wirtschaft bereiten die geopolitische Lage und der zunehmende Protektionismus grosse Probleme.
Guten Tag Frag Frau Gubser. Ich habe keine Frage, sondern nur ein grosses Lob für Ihre sehr guten, manchmal mit sehr passenden, persönlichen An- und Bemerkungen. Sie leben echten und authentischen Journalismus und es ist immer ein Vergnügen Ihren fehlerfreien und fliessenden Beiträgen zuzuschauen und zuzuhören. Weiter so. Besten Dank
Alexandra Gubser: Ganz herzlichen Dank für das dicke Lob! Freut mich sehr!
Was verdient ein Gärtner oder eine Fabrikarbeiterin? Versus. Was bekommt ein 50-jähriger Mensch, der nicht arbeiten will/kann, alles vom Staat geboten. Was ist der realistische Unterschied Ende Monat fürs Arbeiten gehen (Wohnungszulagen, Gratis-Heizung, Bürgergeld, soziale Begleitung durchs Leben etc... versus das Leben selber finanzieren) Stimmt es immer noch, dass Arbeitslose nicht selber einen Job suchen müssen, sondern die Bürokratie des Arbeitsamtes, das übernimmt?
Alexandra Gubser: Ein Gärtner verdient derzeit ca. 3000 Euro im Monat, eine Fabrikarbeiterin ebenso. Das sind aber nicht die Menschen, die für 12,82 Euro Mindestlohn/Stunde arbeiten gehen. Oftmals reichen solche Jobs nicht zum Leben. Wer Sozialhilfe bezieht, hier in Deutschland heisst das Bürgergeld oder neu Grundsicherung, erhält als alleinstehender Erwachsener 563 Euro. Es hängt von der jeweiligen Lebenssituation ab, ob welche andere Zuschüsse noch genehmigt werden. Zum Wohnungszuschüsse oder Kindergeld. Es gibt sicher Missbräuche, aber laut einer Studie des IFO-Instituts lohnt sich arbeiten in Deutschland immer. Sozialleistungsbezieher erhalten netto nicht mehr Geld als Geringverdiener. Arbeitslose können selbst eine Arbeit suchen, das ist in Zeiten von Fachkräftemangel auch gar nicht so schwer. Aber das Jobcenter kann natürlich helfen.
Sehen wir aktuell eine Veramerikanisierung Deutschlands? Oder warum wir dauernd auf den Grünen und Robert Habeck herumgehackt. Dieser ist einer der cleversten deutschen Köpfe der letzten Jahrzehnte.
Alexandra Gubser: Ich nehme auch eine zunehmende Trumpisierung wahr, dass die Empörungs-Ökonomie gefüttert werden will. Das ist aber ein allgemeiner Zeitgeist.
Wo machen Sie eigentlich gerne in Deutschland Urlaub?
Alexandra Gubser: Mehr Meer geht für mich immer, also an den Küsten.
Können nun auch schon pensionierte Menschen pro Monat €2'000.- sich ohne «Steuerabzug» dazu verdienen?
Alexandra Gubser: Diese Aktivrente soll voraussichtlich ab Januar eingeführt werden. Aktuell könnten 230'000 Rentnerinnen und Rentner davon profitieren.
Warum toleriert Deutschland die Pro-Palästina-Demos und die illegalen bzw. straffälligen Migranten?
Alexandra Gubser: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut in Deutschland. Ist eine Demonstration ordnungsgemäss angemeldet, dann kann die Polizei das Geschehen nur beobachten, ob verfassungsfeindliche Parolen skandiert werden. Pro-Palästina-Demos und irreguläre Migranten direkt in Verbindung zu bringen, ist etwas eng gedacht. Irreguläre Migranten müssen teilweise «toleriert» werden, weil sie – sofern sie zum Beispiel wegen Krieg nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können – einen Duldungsstatus haben. Straffällige Migranten werden, wenn immer möglich, ausgeschafft.
Wie nehmen Sie selbst das politische Klima in der Bevölkerung wahr? Stimmen die Aussagen, dass man sich nicht mehr traut, seine Meinung zu sagen?
Alexandra Gubser: Das Klima ist angespannt und kälter geworden, weil Verunsicherung und Unzufriedenheit gross sind. Wer Angst hat, verengt sein Interesse, schaut mehr auf den eigenen Vorteil. Aber es ist oft ein Klagen auf hohem Niveau. Aussagen, dass man nicht mehr seine Meinung sagen dürfe, stimmen nicht, die Leute sind nicht schüchtern, das erlebe ich immer wieder hier. Sagen kann man alles (ausser verfassungsfeindliche Parolen), man muss sich dann aber auch Kritik gefallen lassen, beziehungsweise in den Diskurs gehen. Das ist Meinungsfreiheit.
Warum lebt Alice Weidel in der Schweiz?
Alexandra Gubser: Das weiss ich nicht.
Warum wollen Teile der SPD, die in vielen Städten auftretenden Probleme mit Migranten nicht sehen und verteufeln Leute, die darauf aufmerksam machen, als rassistisch?
Alexandra Gubser: Pragmatiker haben in der SPD derzeit kaum Chancen, sich Gehör zu verschaffen. Es gibt eine immer grösser werdende Kluft zwischen Parteileitung und der Basis. Die SPD ist Juniorpartnerin in der Regierung und muss manche Kröte schlucken. Parteilinke und Jusos wollen ideologisch, aber sauber bleiben, sich maximal abgrenzen von bürgerlicher Politik. Es ist eine etwas verquere Identitätsdebatte im Gang. Wo die SPD pragmatisch auftritt, hat sie aber durchaus auch Erfolg, siehe die Oberbürgermeisterwahl in Duisburg.
Wie sehr hängt das BSW von Sahra Wagenknecht ab? Hat die Partei ohne ihr Zugpferd noch eine reelle Zukunft?
Alexandra Gubser: Sahra Wagenknecht hat die Partei aufgebaut, hat sich ganz auf sich allein zugeschnitten und ist das Gesicht des BSW. Dadurch, dass die Partei den Einzug in den Bundestag hauchdünn verpasst hat, ist Wagenknecht in der Landespolitik steckengeblieben, die sie eigentlich überhaupt nicht interessiert. Jetzt stellt sie fest, dass man eine Partei nicht so führen kann und gibt den Vorsitz ab. Meines Erachtens ist das Bündnis, so wie es jetzt ist, gescheitert. Doch die Partei sitzt in zwei Bundesländern in der Regierung und hat sich etwas emanzipiert von ihrer Gründerin. Das kann auch eine Chance sein für die Partei.
Kanzler Merz wirkte nach der Stadtbilddebatte politisch ziemlich angeschlagen. Was ist Ihr Eindruck, hat er sich davon wieder etwas erholt?
Alexandra Gubser: Die Stadtbild-Debatte hat sich inzwischen versachlicht, die Empörungsdiskussion ist abgeflacht. Kanzler Merz' flapsige Bemerkung hat viele Menschen mit Migrationshintergrund verletzt und ihm keine Bonuspunkte verschafft. In Umfragen bekommt Merz zu seinem 70. Geburtstag ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt. Der aktuelle Kanzler ist historisch unbeliebt.
Welche Mittel haben die «Altparteien» gegen die AfD? Sie wirken zurzeit ziemlich planlos, während die AfD mehr und mehr Zustimmung holt.
Alexandra Gubser: Zustimmungswerte innerhalb einer Legislatur sind keine Wahlergebnisse. Empörung ist die Währung der AfD, in einer Demokratie gibt es keine raschen, schwarz-weissen Lösungen. Politik ist Diskurs und Kompromiss, deshalb haben die etablierten Parteien es schwer, mit komplexen Sachverhalte Emotionen zu wecken.
Ist Deutschland fähig seine Probleme zu lösen? Im Sandwich zwischen den USA und Russland? Von mir aus gesehen wäre es besser, wenn Deutschland mit den Russen eine Diplomatische Lösung fände. Kann da die Schweiz nicht einen Beitrag leisten? Wirtschaftlich ist das doch ein Desaster für alle die in Europa leben. Es muss doch eine Lösung her?
Alexandra Gubser: Russland hat es in der Hand, den Krieg in der Ukraine sofort zu beenden. Diplomatische Lösungen lehnt Präsident Putin bisher ab. Die Schweiz, bekannt für ihre guten Dienste hinter den Kulissen, ist durchaus aktiv.
Warum negieren so viele Deutsche den Umstand, dass Angela Merkel, während ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft das Land vom Musterknaben zum Buhmann in der Welt verwandelt hat?
Alexandra Gubser: Ich sehe Deutschland nicht als Buhmann der Welt. Es war längst nicht alles schlecht. Angela Merkels Kanzlerschaft war geprägt von multiplen Krisen (Griechenland war pleite, der Banken-Crash, Corona), durch die sie Deutschland mit sicherer Hand durchsteuerte. Aber ja, natürlich ist auch die Liste von Merkels Fehlentscheidungen lang. Dass viele Deutsche heute nachsichtig auf ihre Amtszeit gucken, hat wohl nostalgische Gründe. Vorab ist es der menschliche Faktor, Merkel war der ruhige Fels in der Brandung. Sie orientierte sich immer an der politischen Mitte.
Wie ist die Beamtenrente in Deutschland in Zukunft überhaupt noch tragbar?
Alexandra Gubser: Die Beamten haben eine eigene Rentenkasse und erhalten höhere Renten. Arbeitsministerin Bärbel Bas hat vorgeschlagen, Beamte in die gesetzliche Rentenkasse aufzunehmen. Das würde aber die öffentliche Hand 20 Milliarden € zusätzlich pro Jahr kosten. Bas wurde von der Koalition aber inzwischen zurückgepfiffen.
Guten Tag Im Osten Deutschlands zu DDR-Zeiten war einerseits stetiges Misstrauen gegenüber den andern Zeitgenossen spürbar. Andererseits jedoch auch eine grosse Hilfsbereitschaft versus überbordenden Individualismus im Sinne von «wir schaffen die Mangelwirtschaft» im gemeinsamen untereinander aushelfen. Hat sich das geändert oder gar positiv auf den ehemaligen Westen Deutschland übergeschwappt?
Alexandra Gubser: Also, die grosse Hilfsbereitschaft war in der DDR nicht uneigennützig, Mangel schweisst zusammen. Heute stelle ich eher das Gegenteil fest, jeder schaut für sich, viele Leute vereinsamen auch. Was kein rein deutsches Phänomen ist.
Was glauben Sie, wie eine «GERXIT"-Abstimmung – also Austritt aus der EU – ausgehen würde?
Alexandra Gubser: Abgesehen davon, dass ein Dexit heute nicht mal mehr von der AfD angestrebt wird, würden die Deutschen in einer hypothetischen Abstimmung meiner Ansicht nach einen Austritt aus der EU ablehnen.
Wann liefert Deutschland die Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine?
Alexandra Gubser: Ich rufe kurz im Kanzleramt an... Im Ernst, Friedrich Merz schliesst Taurus-Lieferungen nicht aus, es bleibe eine Option. Aber er will das nicht mehr öffentlich diskutieren.
An was liegt es, dass in Deutschland die politische Kultur so weit heruntergekommen ist, dass nicht einmal mehr die obersten Vertreter der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD sich auf gemeinsame Aussagen einigen können und vor der Öffentlichkeit zeigen das die Koalition eigentlich ein handlungsunfähiger Trümmerhaufen ist. Beispiel „Stadtbild-Debatte“.
Alexandra Gubser: In der Kommunikation hapert es gewaltig, wie schon auch in der Ampelregierung, die beileibe nicht so schlecht war wie kolportiert. Die Konstellation, aus der Not geboren, ist naturgemäss schwierig. Dass man streitet und diskutiert, ist Teil der parlamentarischen Demokratie. Nicht alles ist eine Zerreissprobe für die Regierung. Aber eines ist klar, es liegt am Führungspersonal. Wenn Fraktionschefs Spahn, Hofmann und Miersch nicht spüren, war in ihrem Haus vor sich geht, es nicht schaffen, die eigenen Reihen zu schliessen und geschlossen aufzutreten, dann wird es schwierig. Und das trägt sich nach aussen.