Bienenflüsterer aufgepasst: Wer glaubte, jeden Stich vorausahnen zu können, der sollte künftig noch genauer hinschauen, wer da gerade ums Ohr surrt. Denn jede Biene hat einen eigenen «Stech-Charakter». Das zeigt sich beim Verteidigen von Bienenstöcken, das Forschende der Universität Konstanz untersucht haben.
Für ihre Studie haben die Neurobiologen gezielt Wächterbienen an den universitätseigenen Bienenstöcken eingefangen. Es zeigte sich: Die einen Honigbienen sind freundlicher als die anderen.
Der Nachweis gelang den Forschenden bei Wächterbienen. Kommt man einem Bienenstock zu nahe, alarmieren diese ihre Artgenossen mit einem Pheromon. Dieses wird freigesetzt, wenn die Bienen einen Angreifer stechen: Je mehr Duftstoff ausgeschüttet wird, umso heftiger fällt die Abwehr der Wächterbienen aus.
Eine komplexe Organisation ist möglich, ohne dass eine zentrale Macht alles steuert.
Bei dieser kollektiven Verteidigung des Bienenvolks zeigte sich nun, dass Biene nicht gleich Biene ist. «Wir haben eine weitere Komplexitätsebene gefunden», erklärt der Neurobiologe Giovanni Galizia. Denn jedes Tier habe unterschiedliche Vorlieben im Stechverhalten.
Das Kanonenfutter unter den Bienen
Normalerweise sterben Bienen, sobald sie zugestochen haben. Die Forschenden führten ihre Tests aber mit einer Apparatur durch, in der die Insekten ihren Stachel nicht verlieren und dadurch weiterleben. Dort zeigte sich: Die einen Bienen stechen munter drauflos, die anderen sind grundsätzlich zurückhaltend. Dieses eigenwillige Verhalten behalten sie auch in unterschiedlich zusammengesetzten Formationen bei.
Die Forschenden vermuten, dass die unterschiedlichen «Stechtypen» durchaus vorteilhaft für das Bienenvolk sind. Denn sie geben ihm beim Zurückschlagen von Angriffen mehr Flexibilität. Die stechfreudigeren Bienen sind sozusagen das Kanonenfutter, das sich opfert, um das Volk zu schützen.
«Im Allgemeinen stechen ältere Bienen eher zu», sagt der Co-Autor der Studie. Die älteren Semester blicken oft auf eine eindrückliche «Karriere» zurück: Als Jungspunde haben sie etwa Futter besorgt oder zur Kühlung des Bienenstocks beitragen; nun geben sie ihr Leben, um ihr Volk zu verteidigen.
Soziale Regulierung im Bienenstock
Die «freundlichen» Bienen überleben dagegen, weil sie gar nicht erst zustechen. Und helfen so mit, dass die Verluste im Bienenstock überschaubar bleiben. Durch die individuellen Charaktere reguliert das Bienenvolk also seine Stechwut – und damit die eigenen Verluste.
Und was bleibt von den Forschungserkenntnissen? «Eine komplexe Organisation ist möglich, ohne dass eine zentrale Macht alles steuert», schliesst der Forscher. So kann sich das Individuum auch in der Schwarmintelligenz entfalten.
Laut dem Neurobiologen kann die Grundlagenforschung am Bienenstock auch für menschliche Zwecke interessant sein. Beispielsweise, wenn es um Arbeitsteilung in der Gesellschaft oder das autonome Fahren geht.