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100-Millionen-Sickergrube Kantone machen mit Arbeitslosenkassen Millionen-Gewinne

Die Arbeitslosenkassen sind teurer, als sie sein müssten – das geht zu Lasten der Beitragszahler.

Das wirtschaftliche Umfeld ist gut, die Arbeitslosigkeit tief. Die Arbeitslosenversicherung (ALV) erwirtschaftet seit Längerem Überschüsse. Alles bestens – sollte man meinen. Doch weit gefehlt: Das Sozialwerk weist per Ende 2017 immer noch ein Defizit von fast einer Milliarde Franken aus.

Fast 10 Prozent Verwaltungskosten

Umso wichtiger sind darum die Verwaltungskosten. 2017 flossen insgesamt knapp 730 Millionen Franken bzw. 9,5 Prozent aller Einnahmen in die Administration der ALV.

Zwei Drittel gingen an die regionalen Arbeitsvermittlungszentren RAV. Ein Viertel oder rund 190 Millionen Franken waren Kosten für 34 kantonale und private Arbeitslosenkassen mit schweizweit 155 Zahlstellen.

Risikolose Gewinne für Kantone

Ein Stein des Anstosses ist das Entschädigungssystem. 8 von 34 Kassen – darunter die Kantone Aargau, St. Gallen und Waadt sowie die Gewerkschaften Unia und Syna – verrechnen ihre Verwaltungskosten nicht nach tatsächlichem Aufwand, sondern erhalten vom Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, der Aufsicht, pauschale Entschädigungen. Das Seco hat ihnen diese Wahlmöglichkeit eingeräumt.

Nach Recherchen des Wirtschaftsmagazins «ECO» haben die drei Kantone dadurch vergangenes Jahr 7,4 Millionen Franken Gewinn für die Staatskasse gemacht.

Urs Hofmann, SP-Regierungsrat des Kantons Aargau, sagt dazu: «Ich war auch erstaunt.» Offenbar sei das System des Seco «so konzipiert, dass man so hohe Beträge generieren kann. Im Sinne des Erfinders oder des Seco kann das ja nicht sein.»

Die Gewerkschaft Unia ist grösster Player unter den den Arbeitslosenkassen. Sie erhielt 2017 eine pauschale Abgeltung von 45 Millionen Franken. Die Gewerkschaft Syna bekam 9 Millionen.

«ECO» wollte wissen, wie viel Gewinn die Gewerkschaften damit erwirtschafteten. Die Unia verweigert eine Offenlegung. Sie schreibt: «Im Gegensatz zu Kassen, welche die effektiven Kosten abrechnen können, tragen Pauschalkassen das volle Risiko, wenn die Abgeltung die Kosten nicht deckt. Mit der Abgeltung 2017 konnte die Unia die anfallenden Kosten decken.»

Auch Syna will keine Transparenz schaffen. Sie schreibt: «Die aktuellen Entschädigungen der Effektiv- und Pauschalkassen richten sich nach einer langjährigen Vereinbarung zwischen dem Seco und den Kassenträgern – und orientieren sich an den Kosten der Effektivkassen.»

So funktioniert das System der Arbeitslosenkassen

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In der Schweiz gibt es 34 Arbeitslosenkassen . Davon werden 26 von den Kantonen betrieben und 8 von Gewerkschaften .

Jede Kasse hat so genannte regionale Zahlstellen . Diese bearbeiten die Arbeitslosendossiers administrativ, sie errechnen beispielsweise die Höhe der Arbeitslosentschädigung, und sind für die Überweisung des Geldes besorgt. In der Schweiz exisitieren 155 solcher Zahlstellen. Grösster Player in diesem Bereich mit einem Marktanteil von 25 Prozent ist die Gewerkschaft Unia .

Seit 1983 ist die Arbeitslosenversicherung in der Schweiz obligatorisch. Sie wird vor allem über Lohnprozente der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und zu einem kleinen Teil von der öffentlichen Hand finanziert. 2007 betrugen die Einnahmen rund 7,7 Mrd. Franken.

Dabei kritisiert eine aktuelle Studie, die im Auftrag des Seco erstellt wurde, dass die Pauschalen zu hoch angesetzt seien. Dadurch wären Gewinne ohne Risiko und Aufwand möglich.

«Die Gewerkschaften machen sicher keinen Gewinn auf Kosten der Allgemeinheit», sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizer Gewerkschaftsbunds. Er begründet die fehlende Offenheit so: «Es ist einfach schwierig, intern abzurechnen. Eine Arbeitslosenkasse ist Teil eines grossen Betriebs, und man berechnet nicht jeden Bleistift, den man braucht, nur wegen der Transparenz.»

Daneben arbeitet ein Teil der Zahlstellen ungenau. Vergangenes Jahr sind von insgesamt rund 273'000 Arbeitslosendossiers gut 1,3 Prozent per Zufallsprinzip geprüft worden. Zum Beispiel daraufhin, ob einem Arbeitslosen die Entschädigung nicht zu hoch berechnet wurde. 8 Prozent der geprüften Dossiers wurden im Schnitt beanstandet. Ziel wären 5 Prozent.

Seco schweigt

Das Gravierende dabei: Jede Beanstandung kostet Geld, weil sie Rückforderungen und Trägerhaftungen auslöst. Am Ende stehen die Beitragszahler dafür gerade. 2017 waren es aufgrund der Stichprobe 1,35 Millionen Franken.

Logo Arbeitslosenkasse.
Legende: In der Schweiz gibt es 34 Arbeitslosenkassen. 26 werden von den Kantonen betrieben, 8 von Gewerkschaften. SRF

Geschätzt auf alle Dossiers könnte sich der potenzielle Schaden auf gegen 100 Millionen Franken belaufen. Realistisch ist wohl ein zweistelliger Millionenbetrag. Trotz mehrfacher Anfrage wollte das Seco dazu keine näheren Angaben machen.

Teure Ineffizienz

Die Eidgenössische Finanzkontrolle EFK hat in einem Bericht das System der Arbeitslosenkassen unter die Lupe genommen und bereits Ende Sommer die mangelnde Effizienz kritisiert.

Die EFK nimmt dabei ebenfalls Bezug auf die Studie des Seco und ortet ein jährliches Sparpotenzial von bis zu 50 Millionen Franken.

Missstände dringend beheben

Risikolose Gewinne, millionenteure Beanstandungen und ein grosses Ausmass an Ineffizienz führen dazu, dass seit Jahren Dutzende Millionen Franken im Verwaltungsdickicht der Arbeitslosenkassen versickern – völlig unnötig und auf Kosten der Beitragszahler der Zwangsversicherung.

Die 190 Millionen Verwaltungskosten für die Arbeitslosenkassen könnten demnach deutlich gesenkt werden.

Neue Leistungsvereinbarung

Doch offenbar tun sich die Beteiligten damit schwer. Obschon die Chance bestünde. Ab 2019 soll eine neue Leistungsvereinbarung zwischen dem Seco und den Arbeitslosenkassen in Kraft treten, die derzeit verhandelt wird.

Argument: Veraltete Informatik

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Ein Grund für die Ineffizienz – aus Sicht der Beteiligten – ist die Datenverarbeitung: Die Arbeitslosenkassen müssen mit einem 20 Jahre alten Informatikprogramm arbeiten – Taschenrechner und Hilfstabellen würden die Arbeit unnötig kompliziert und auch fehleranfällig machen. Zudem seien die Berechnungen der Taggelder laut Experten kompliziert – gerade bei Arbeitslosen, die ihre Stelle oft wechseln.

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